Der Wissenschaftswahn
oder
Somatoplasma
und
Keimplasma
, eine materielle Struktur in der befruchteten Eizelle. Weismann dachte sich das Keimplasma als etwas Aktives, in dem »Determinanten« für die Formung des Somatoplasmas vorhanden waren. Das Keimplasma wirkte auf das Somatoplasma, aber nicht umgekehrt. Diese Determinanten steuerten die Entwicklung des erwachsenen Organismus, aber das Keimplasma selbst wurde unverändert über die weiblichen und männlichen Keimzellen weitergegeben (Abbildung 10 A).
Abbildung 10A: Weismanns Schema zeigt die Kontinuität des Keimplasmas von Generation zu Generation und die Vergänglichkeit der individuellen Organismen. 10B: Das »zentrale Dogma« der Molekularbiologie, das Weismanns Schema in den Begriffen von DNA und Proteinen interpretiert.
Das zwanzigste Jahrhundert entdeckte die Gene in den Chromosomen der Zellkerne, und Weismanns Theorie schien bestätigt. Die Gene waren das Keimplasma, das sich bei jeder Zellteilung mehr oder weniger identisch replizierte. Als in den fünfziger Jahren der Aufbau des genetischen Materials, der DNA , enträtselt und der genetische Code geknackt wurde, zeigte sich, dass Weismanns Sicht der Dinge auf der molekularen Ebene nachzuvollziehen war: DNA konnte als das Keimplasma gedeutet werden, und Proteine waren dann das Somatoplasma (Abbildung 10 B). In der DNA war der Aufbau der Proteine vorgegeben, aber nicht umgekehrt. Francis Crick bezeichnete das als das »Kerndogma« der Molekularbiologie.
Evolution war nach neodarwinistischer Theorie auf genetische Zufallsmutationen zurückzuführen, die eine durch natürliche Auslese bedingte allmähliche Verschiebung des Genbestands innerhalb einer Population ergab. Die großen Erfolge der Molekulargenetik, verbunden mit der neodarwinistischen Evolutionslehre, schienen ganz eindeutig für die materielle Vererbungstheorie zu sprechen. Nur dass es mit diesen Erfolgen in Wirklichkeit nicht gar so weit her war.
Die Genom Wette
Bis 2009 war jedenfalls klar, dass sich viele der Versprechen des Genomprojekts nicht erfüllt hatten. Zahlreiche Biologen glaubten jedoch immer noch an die prinzipielle Erklärbarkeit des Organismus anhand seines Genoms. Der renommierte britische Biologe Lewis Wolpert beispielsweise gab ein vollmundiges Bekenntnis zur Rolle der Gene und ihrer Erklärungskraft ab, als er verkündete, wir brauchten nur mehr Information und Computerkapazität, dann »würden wir, etwa bei einer befruchteten menschlichen Eizelle, alle Züge des Neugeborenen vorhersagen können, auch mögliche Abnormitäten. Wir würden die Eizelle auch so programmieren können, dass sie jede gewünschte Gestalt annimmt. Die Zeit, in der dies möglich ist, wird kommen.« [307]
Ein paar Monate später kamen Wolpert und ich zum Abschluss des Cambridge University Science Festival 2009 zusammen, um über »Die Natur des Lebens« zu diskutieren. [308] Wolpert bekräftigte seinen Glauben an die Vorhersagekraft des Genoms, woraufhin ich ihm eine Wette anbot. Ich sagte, ich würde darauf setzen, dass sich seine Voraussage nicht in zehn und auch nicht in zwanzig Jahren bewahrheitet. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann, es könne auch noch hundert Jahre dauern. Das war natürlich keine Voraussage, die sich zu unseren Lebzeiten überprüfen ließe. Nach der öffentlichen Debatte setzten wir unser Gespräch unter vier Augen fort, und ich fragte ihn, was denn nach seiner Einschätzung innerhalb von zwanzig Jahren zu erreichen sei. Zunächst überlegte er, ob es wohl möglich sein könne, eine Maus in allen Einzelheiten aus ihrem Genom abzuleiten. Nach weiteren Überlegungen entschloss er sich zu mehr Vorsicht und gelangte in mehreren Schritten über Hühner und Frösche schließlich zu Nematoden, Würmern. So fanden wir schließlich zu einem gemeinsamen Text für unsere Wette, der im Juli 2009 im
New Scientist
erschien. [309] Einsatz ist eine Kiste Portwein Quinta do Vesuvio 2005 , die wir beide zur Hälfte bezahlten und die in den Kellern der Wine Society bei London gelagert wird. Die Experten sagen diesem Wein seine vollendete Reife im Jahr 2029 voraus. Und so lautet die Wette:
Bis zum 1. Mai 2029 werden wir anhand der befruchteten Eizelle eines Tieres oder einer Pflanze in mindestens einem Fall sämtliche Einzelheiten des Organismus vorhersagen können, der sich aus dieser Eizelle entwickelt, einschließlich eventueller Abnormitäten.
Wolpert wettet, dass es so sein wird. Ich wette dagegen. Sollte das Ergebnis nicht klar ersichtlich
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