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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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and Plants Under Domestication
(
Das Variieren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication
, 1868 ), das zu meinen Lieblingsbüchern über Biologie gehört. Jedenfalls legte die überzeugende Wirksamkeit der selektierenden Zucht den Gedanken nahe, dass Ähnliches auch spontan in der unberührten Natur geschieht: natürliche Auslese.
    Heute steht die Genetik im Zentrum der biologischen Forschung. Nach allgemein akzeptierter Auffassung ist die Erbinformation in den Genen niedergelegt. Die Wörter »erblich« und »genetisch« sind mehr oder weniger gleichbedeutend. Als 1953 der Bau der DNA aufgedeckt wurde, schien die Natur der Vererbung zumindest auf der molekularen Ebene im Prinzip durchschaut zu sein. Höhepunkt war das im Jahr 2000 abgeschlossene Humangenomprojekt, ein Triumph des Fachgebiets.
    Aus der Sicht des Materialismus ist nichtmaterielle Vererbung – mit Ausnahme der Weitergabe kultureller Errungenschaften – unmöglich. Niemand bezweifelt, dass kulturelle Vererbung, etwa durch das Medium der Sprache, eine nichtgenetische Weitergabe von Information ist. Alle anderen Formen der Vererbung müssen materieller Natur sein, eine andere Möglichkeit besteht nicht.
    Es gibt etliche nichtgenetische Formen der materiellen Vererbung. Zellen erben Muster der Zellorganisation und Zellbestandteile wie die Mitochondrien direkt von ihrer Mutterzelle und nicht über die Gene im Zellkern. Man spricht hier von zytoplasmischer Vererbung. Tiere und Pflanzen unterliegen auch dem Einfluss von erworbenen Merkmalen, die sich in vorausgehenden Generationen gebildet haben. Die Vererbung erworbener Merkmale kann »epigenetisch« vor sich gehen, und zwar, wie wir noch sehen werden, durch chemische Veränderungen, die sich nicht im genetischen Erbmaterial niederschlagen.
    Betrachten wir zunächst den ungewohnten Gedanken der nichtmateriellen Weitergabe von Form und Organisation. Das war einmal die allgemein verbreitete Sicht der Dinge, aber die Genetik des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich als Gegenbewegung gegen diese ältere Auffassung entwickelt. Doch sogar Materialisten landen am Ende bei nichtmateriellen Erklärungen.

Immaterielle Formen
    In der Antike wird kaum jemand angenommen haben, dass die äußere Gestalt eines Akanthusgewächses oder eines Falken allein über den Samen oder das Ei vererbt wird. Für Platoniker war die Form aller Lebewesen der Idee oder transzendenten Form der Art nachgebildet. Moderne Platoniker wie René Thom sehen das ähnlich. Für sie ist die Gestalt eines Lebewesens eine Art mathematische Idee, die sich in dem physischen Lebewesen, ob Pflanze oder Tier, »verdinglicht«. Das mathematische Modell eines Akanthus liegt nicht in seinen Genen, sondern in einer Raum und Zeit transzendenten mathematischen Sphäre. Von Menschen entworfene mathematische Modelle sind lediglich Annäherungen an diese mathematischen Archetypen.
    Platons Schüler Aristoteles war anderer Meinung. Die Form einer Art war für ihn keine Idee außerhalb von Raum und Zeit, nicht transzendent, sondern immanent. Die Körperform eines Lebewesens war für Aristoteles in seiner Seele angelegt, von wo aus seine äußere Gestalt gleichsam zu ihrer voll entwickelten Form hingezogen wurde. Dadurch war die Seele sowohl Formursache als auch finale Ursache, sie enthielt den End- oder Zielpunkt, zu dem der Organismus hingezogen wurde.
    Im europäischen Mittelalter war Aristoteles’ Philosophie in ihrer Ausprägung durch Thomas von Aquin die Basis für das allgemein akzeptierte Verständnis von Kausalität. An jedem Prozess der Veränderung, etwa dem Wachsen eines Baums aus einer Nuss, waren vier Arten von Ursachen beteiligt. Die materielle Ursache war die Materie, aus der die Pflanze entstand, die Nuss und alles, was sie im Verlauf ihres Wachstums aus der Umgebung aufnahm, zum Beispiel Wasser und die Nährstoffe des Bodens. Die bewegende Ursache war die aus dem Sonnenlicht stammende Energie, die den Prozess antrieb. Die Formursache war das in der Pflanzenseele liegende Prinzip, das ihre äußere Gestalt bestimmte. Die finale Ursache schließlich war das Ziel der Pflanzenentwicklung, nämlich der reife Baum, der wiederum Nüsse ausbildet und sich so vermehrt.
    Betrachten wir die vier Arten von Ursachen an einem weiteren Beispiel, dem Bau eines Hauses. Zum Bau eines Hauses braucht man Baumaterial wie Ziegelsteine und Mörtel. Sie stellen die materielle Ursache dar. Damit alles richtig an Ort und Stelle plaziert wird, bedarf es des

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