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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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werden. Das ist keine materielle Vererbung, aber sie ist trotzdem nicht übernatürlich, sondern natürlicher Art und in diesem Sinne physikalisch. Sie bedeutet eine durch Resonanz bedingte Formübertragung aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Es ist eine Erinnerungs-Resonanz über Raum und Zeit hinweg. Sie wird mit wachsender Entfernung nicht schwächer, sondern basiert einfach auf Ähnlichkeit: je ähnlicher, desto stärker die Resonanz.
    Die Hypothese der morphischen Resonanz ist experimentell überprüfbar. Wenn Taufliegen unter abnormen Bedingungen körperliche Abnormitäten ausbilden, sollte sich dieser Effekt durch Wiederholung verstärken, da auch die morphische Resonanz zunimmt: In Folgegenerationen sollte sich unter gleichen Bedingungen eine verstärkte Tendenz zur Ausbildung der beobachteten Abnormität zeigen. Oder nehmen wir an, dass Eichhörnchen irgendwo eine neue Methode der Futterbeschaffung entdecken: Je mehr Eichhörnchen dieser Art den neuen Trick erlernen, desto leichter sollten auch in räumlich entfernten Gegenden lebende Eichhörnchen dieser Art auf den gleichen Trick kommen. Es sind bereits Experimente durchgeführt worden, die darauf hindeuten, dass es diesen Effekt tatsächlich gibt. Mehr dazu in meinen früheren Büchern
Das schöpferische Universum
und
Das Gedächtnis der Natur
.

Was könnte daraus folgen?
    Der Glaube, dass Vererbung fast ausschließlich auf Genen beruht, spielt sich nicht nur auf intellektueller Ebene ab, sondern hat sehr weitreichende wirtschaftliche und politische Folgen. Hunderte Milliarden Dollar wurden in Biotechnologie- und Genomprojekte investiert. Wenn Gene der Schlüssel zum Leben sind, dann wollen wir sie besitzen und Gewinn aus ihnen schlagen. Es könnte aber sein, dass die Gene sehr stark überschätzt werden, und dann wird die Genomik niemals die an sie geknüpften Hoffnungen erfüllen können. Einige wenige Firmen stellen sinnvolle Produkte her, aber viele machen nur Versprechungen, die sich einfach nicht bewahrheiten wollen.
    Seit den sechziger Jahren starren wir auf die Gene als Träger der Geheimnisse des Lebens, und das hat sich als unheilvoll für unsere gesamte Kultur erwiesen. Jeffrey Skilling war CEO bei Enron, einer für rücksichtslose Profitgier bekannten Firma. Sein Lieblingsbuch, sagte er, sei
Das egoistische Gen
, [334] und die Theorie des egoistischen Gens prägte denn auch die Firmenkultur – bis zum Bankrott im Jahr 2001 . Skilling, der jetzt eine lange Haftstrafe verbüßt, entnahm der neodarwinistischen Theorie, dass Eigennutz letztlich auch für seine Opfer gut ist, weil er Loser aussiebt und die wirklich Lebenstüchtigen zur Entfaltung ihrer Kräfte zwingt. [335]
    Gene sind trotz der Verführungen anderslautender Rhetorik weder individualistisch noch egoistisch. Als Bestandteile eines größeren Ganzen wirken sie an der Entwicklung von Organismen und ihrem Verhalten mit. Falls sie überhaupt eine Moral zu vermitteln haben, dann wohl die, dass Leben nur als Miteinander und nicht als rücksichtsloser Konkurrenzkampf funktioniert.
    Ein breiteres Verständnis der Vererbung, das neben Genen und Genmodifikationen auch morphische Resonanz berücksichtigt, erschließt viele neue Fragen und versetzt die Biowissenschaften in die Lage, über den Tellerrand der Molekularbiologie zu blicken. Wissenschaftlich gesehen, tut sich hier wirklich Neuland auf. Zunächst einmal ist »erblich« dann nicht mehr einfach gleichbedeutend mit »genetisch«. Gene spielen eine wichtige Rolle bei der Vererbung, aber längst nicht die einzige. Die Vererbung von Formen und Verhaltensweisen könnte durch morphische Resonanz vermittelt sein. Die Resonanz ist zwar physikalischer, aber nicht materieller Natur. Eine ähnliche Rolle könnte die morphische Resonanz auch für die kulturelle Vererbung spielen.
    Tiere und Pflanzen sind durch morphische Resonanz mit früheren Generationen ihrer Art verbunden. Jedes Individuum schöpft aus dem kollektiven Gedächtnis seiner Art und trägt selbst wiederum zu ihm bei. Tiere und Pflanzen erben die Gewohnheiten ihrer Art und Rasse, und beim Menschen verhält es sich nicht anders.
    Solch ein erweitertes Bild der Vererbung gibt uns ein neues Selbstverständnis, es lässt uns den Einfluss unserer Vorfahren auf uns und wiederum unseren Einfluss auf künftige Generationen ganz anders verstehen.

Fragen an Materialisten
    Lewis Wolpert wettet: »Bis zum 1 . Mai 2029 werden wir anhand der befruchteten Eizelle eines Tieres oder einer

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