Der Wohlfahrtskonzern
dem folgenden Jahr gerieten Hanoi und Zebu aneinander, und im Jahr darauf Auckland und Adelaide.
Was, in Gottes Namen, hatte Defoe vor? Nicht so etwas Simples, wie Carmody aus dem Weg zu räumen, um dann die Gesellschaft auszuplündern. Niemand konnte derartig reich sein wollen! Reichtum in diesen Dimensionen geriet zur Abstraktion.
Er wollte nur eines … Macht!
Aber das war jetzt unwichtig – wichtig war einzig und allein, daß ich nun wußte: Carmody war ein Feind Defoes. Er war daher und per Definition ein Verbündeter von Rena und mir, und was wir brauchten, waren Verbündete. Frage: Wie konnten wir Carmody aus Abteilung einhundert herausschaffen?
Wir kamen zu keiner vernünftigen Lösung, obwohl Rena und ich, unterstützt von brummigen Kommentaren Zorchis, darüber diskutierten, bis der Morgen dämmerte. Ein Frontalangriff auf die Klinik war lächerlich. Selbst ein Ablenkungsüberfall, wie ihn Rena benutzt hatte, als sie versuchte, ihren Vater zu befreien – vor gerade erst zehn Tagen! – würde uns kaum durch die dreifach gesicherte Tür von Abteilung einhundert bringen. Selbst unter Aufbietung aller – inzwischen nicht mehr vorhandener – Kräfte von Slovetskis Bewegung wäre es nicht gelungen.
Es war zum Verrückt werden. Ich hatte die von Rena übernommene Spritze in Abteilung einhundert versteckt, um sie loszuwerden. Zweifellos befand sie sich immer noch dort – vielleicht nur einige Meter von Millen Carmody entfernt. Falls fünfundzwanzig Kubikzentimeter einer wäßrigen, purpurnen Flüssigkeit aus einer kleinen Glasflasche in seine Venen gebracht werden konnten, war das Problem gelöst, denn er konnte die Tür von innen genauso leicht öffnen, wie Zorchi es getan hatte, und bestimmt konnten wir es irgendwie schaffen, ihn herauszuholen, wenn er es erst einmal so weit geschafft hatte.
Aber die ganze Sache war unmöglich, von welcher Seite wir sie auch betrachteten.
Ich war in meinem Stuhl eingeschlafen und wachte aus einem verrückten Alptraum auf, in dem ein Racheengel mit kobaltblauen Augen mich aus dem Himmel verbannte, und ich wollte vor ihm davonlaufen, aber ein kleiner Mann mit einer Spritze aus Eis hatte mich einfrieren lassen. Ich öffnete die Augen und sah auf den Fernseher. Irgend jemand – vermutlich Rena – hatte eine leichte Decke über mich ausgebreitet. Aus dem Gerät schmetterte ein durchdringender Tenor. Zorchi sah sich, anscheinend fasziniert, eine Oper an und kroch fast in den Bildschirm hinein; ich hätte genausogut Tausende von Kilometern entfernt sein können.
Ich lag mit trüben Augen da und betrachtete die winzigen Figuren, die über den Schirm flackerten. Ich vergaß zwar die Dinge nicht, die mich beschäftigten, ich wußte, daß sie vorhanden waren und um was es ging, aber mir fehlte einfach die Kraft, sie zu greifen und mich ihnen zu stellen. In der Oper schien es um eine ägyptische Königin und eine Art Priester zu gehen; mich interessierte es nicht sonderlich, es erschien mir allerdings seltsam, daß Zorchi das Geschehen so eifrig, ja begierig verfolgte. Vielleicht war, alles in allem, doch etwas an seinem weinerlichen Selbstmitleid; vielleicht sah ich wirklich nur ein Monster oder einen Hund in ihm, denn ihn beim Betrachten einer Oper zu sehen, verunsicherte und irritierte mich mindestens ebensosehr, als wenn ich einen Affen beim Flötespielen gesehen hätte.
Ich hörte, wie Lastwagen auf der Autobahn vorbeifuhren. Nach und nach wurde mir bewußt, daß ich eine Menge Lastwagen hörte. Ich hatte keine Ahnung, wie stark die Verbindung Neapel-Caserta normalerweise befahren war … aber dem Geräusch nach schienen sie die Straße Stoßstange an Stoßstange und mit mindestens 110 bis 120 Kilometer pro Stunde entlangzusurren. Ich stand steif auf und ging hinüber zum Fenster.
Ich hatte nicht sehr daneben gelegen. Ein ständiger Strom von Fahrzeugen – nicht nur Lastwagen, sondern auch Busse und Limousinen, alles mögliche, von den neuesten Gyromodellen bis hin zu uralten dieselgetriebenen Treckern und Zugmaschinen – raste in beiden Richtungen vorbei.
Zorchi hatte mich gehört und drehte sich mit einem schwer deutbaren Gesichtsausdruck zu mir um. Ich zeigte zum Fenster. »Was geht da vor?« fragte ich.
»Das Ende der Welt«, sagte er ruhig und mit tonloser Stimme. »Es ist jetzt offiziell, es kam über das Fernsehen. Oh, sie verlieren nicht viele Worte darüber, aber es ist da.«
Ich ging zum Fernseher und schaltete den Videorecorder ab, denn die Oper war ein
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