Der Wohlfahrtskonzern
wahr, daß Sie dicht davor waren, mich hier unten vor Hunger sterben zu lassen.« Finster blickte er die Regale mit den Kokons in der verschlossenen Abteilung an. »Eine Schande bei dem vielen Fleisch, das dort auf den Bänken auf mich gewartet hat. Aber ich bin eben kein Monster, Wiehls. Ich kann die lebenden Körper dieser Leute nicht verschlingen. Das ist eine Schwäche, und ich glaube kaum, daß Sie einen Mann der Gesellschaft auch nur für einen Moment zurückhalten würde.«
»Passen Sie auf, Zorchi«, bat ich. »Ich gebe Ihnen mein Wort. Ich will Ihnen helfen. Sie können mir genausogut glauben, wissen Sie, denn schlechter als jetzt können Sie’s sowieso nicht treffen.«
Düster starrte er mich einen Moment lang an. »Nur zu wahr«, stimmte er mir zu. »Und was nun, Wiehls?«
Das war eine gute Frage. Zögernd sagte ich: »Also, ich möchte Sie gerne hier herausbringen …«
»O ja, das möchte ich auch gern. Wie wollen wir es machen?« Nachdenklich rieb ich mir den Nacken und musterte ihn. Ich ha tte eine Art halbfertigen, teilweise ausgearbeiteten Plan, um Benedetto herauszubringen. Ich wollte ihn mit der Injektion aufwecken, die Dienstkleidung eines Arztes besorgen, ihn da hineinstecken und dann hinausbegleiten. Es war nicht der beste aller Pläne, aber ich hatte Autorität genug, um mir einige Freiheiten leisten zu können oder unangenehme Fragen zu unterbinden, falls es nötig sein sollte. Und nebenbei hatte ich auch gar nicht ernsthaft daran gedacht, den Plan durchführen zu müssen. Ich hatte voll damit gerechnet – und das war nicht länger als eine halbe Stunde her! –, daß ich Benedetto strahlenverseucht vorfinden würde, ein sicheres Opfer des Todes, falls er wiederbelebt wurde, bevor die Halbwertzeit die radioaktiven Elemente in seinem Körper ungefährlich gemacht hatte.
Das würde bei Benedetto vielleicht immer noch funktionieren. Aber Zorchi konnte nicht laufen, um nur eines der möglichen Hindernisse zu erwähnen. Und Benedetto wäre, wenn ich ihm erst einmal seinen Bart mit dem mir von Rena dafür aufgezwungenen Rasierapparat entfernt hatte, kaum von irgend jemandem erkannt worden. Zorchi andererseits war so gut wie unverwechselbar.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich offen.
Er nickte. »Ich auch nicht, Wiehls. Bringen Sie mich also zu Ihrem Defoe.« Eine eigentümliche Mischung aus Angst und wilder Wut zerfurchte sein Gesicht. »Sterben kann ich, wenn es denn sein muß, aber ich möchte nicht verhungern. Es ist gut, wenn man sich ein Bein nachwachsen lassen kann, aber begreifen Sie auch, daß das Bein irgendwo herkommen muß? Ich kann es nicht aus Luft machen, Wiehls. Ich muß essen. Wenn ich Herr meiner selbst bin, in meinem Haus in Neapel, esse ich fünf-, sechs-, achtmal am Tag, mein Körper braucht das so. Wenn Defoe mich also töten will, soll er es tun, aber ich muß von hier weg Jetzt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bitte, verstehen Sie mich, Zorchi … ich kann nicht einmal das für Sie tun. Ich kann es mir nicht erlauben, daß mich irgend jemand fragt, was ich auf dieser Ebene getan habe.« Ich zögerte nur kurz, dann, als mir klar wurde, daß ich bereits so tief drinsteckte, daß Geheimhaltung nicht mehr wichtig war, berichtete ich ihm über Benedetto dell’Angela, den fehlgeschlagenen Aufruhr und mein Versprechen.
Er reagierte ungläubig. »Sie wußten es nicht, Wiehls? Die Arme und Beine der Gesellschaft wissen nicht, was das Gehirn denkt? Wahrhaftig, die Gesellschaft ist eine wunderbare Einrichtung! Selbst die Bauern wissen soviel: Die Gesellschaft tut immer das, was sie für richtig und nötig hält.«
»Ich gebe zu, daß ich dumm bin«, erwiderte ich. »Aber was jetzt?«
»Das hängt von Ihnen ab, Wiehls. Wenn Sie versuchen, uns beide herauszubringen, gefährden Sie sich selbst. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
Und so konnte ich natürlich nur auf eine Weise entscheiden. Ich versteckte die Injektionsnadel hinter einem der Körper in Abteilung einhundert; ich konnte sie nicht mehr gebrauchen. Dann brachte ich Zorchi dazu, sich ruhig in eine der Reihen in der Nähe von Benedetto zu legen. Ich knallte die Tür zu Abteilung einhundert zu und hörte, wie die Schlösser einrasteten. Damit war der Rubikon überschritten. Man konnte die Tür problemlos von der einen Seite aus öffnen – um irgendwelches Personal zu schützen, daß sich vielleicht innen einschloß. Aber nur Defoe und ein paar andere konnten sie von außen öffnen. Die Spritze war jetzt genauso
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