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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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einmal auf die Armbanduhr. Sie betete darum, dass die Aufpasserin zur Toilette ging. Sie merkte, wie sich vor Erwartung ihr ganzer Körper anspannte.
    Sie leckte sich über die Lippen, die plötzlich trocken und spröde waren. Sie schämte sich ihrer Dummheit. All ihre Gedanken hatten darum gekreist, was sie tun würden, wenn sie an dem Haus eintrafen, in dem sie den Bösen Wolf vermuteten.
    In diesem Moment wäre sie beinahe in schallendes Gelächter ausgebrochen, doch sie unterdrückte den Impuls. Sie konnte nichts Komisches an ihrer Situation erkennen, es war nur die geballte, nervöse Angst.
    Wir gehen die Sache falsch an, dachte sie. Der Wolf geht zu den drei Schweinchen und pustet ihre Häuser um, außer das von dem schlauen, das sein Haus aus Stein gebaut hat.
    Falsches Märchen.
    Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass ihr erstes Problem schon darin bestehen könnte, unbemerkt ein Haus zu verlassen, das dazu eingerichtet war, Leute zu schützen und unsichtbar zu machen. Plötzlich kam sie sich vor, als säße sie in einem höchst seltsamen Gefängnis.
    Von unten kamen Geräusche. Es tat sich etwas.
    Dann wurde lautstark ein Buch zugeschlagen. »Gott verdammt, der Mist ist unmöglich. Ich hasse organische Chemie, ich hasse organische Chemie, ich hasse organische Chemie«, wiederholte die junge Frau in wütendem, frustriertem Ton.
    Nach ein, zwei Sekunden bekam der Refrain
Ich hasse organische Chemie
eine aus dem Stegreif komponierte Melodie, die mal mit heller, schriller Stimme, mal im tiefen Bass vorgetragen wurde. Sarah hörte Schritte das Foyer durchqueren. Die Tür zur Toilette ging auf, dann zu. Auf Zehenspitzen hastete sie die Treppe hinunter, um so schnell wie möglich, aber lautlos nach draußen zu kommen, bevor sie jemand entdeckte. Unter allen Umständen musste der Eindruck gewahrt bleiben, dass die Frau, die sich Cynthia Harrison nannte, in ihrem Bett lag und schlief.

[home]
    41
    H undert Meter vom Haus entfernt warteten die drei Roten in ihrem Leihwagen. Sie hätten eigentlich die letzten Einzelheiten ihres Plans, wenn davon überhaupt die Rede sein konnte, noch einmal durchgehen sollen, doch die meiste Zeit schwiegen sie, und jede hing ihren eigenen Gedanken nach. Es war kurz vor drei Uhr morgens. Karen war einfach an den Bordstein gefahren und unter einer hohen Eiche stehen geblieben. Jordan saß hinten, Sarah auf dem Beifahrersitz. Karen legte die Autoschlüssel auf den Boden und machte die anderen darauf aufmerksam, wo sie waren. Dann verteilte sie drei Paar OP -Handschuhe, die sie sich mit zitternden Fingern überzogen. Alle drei Augenpaare suchten immer wieder die Häuserreihen rechts und links ab. Abgesehen von der einen oder anderen Außenlampe, die ein Hausbesitzer versehentlich angelassen hatte, lag die Straße im Dunkeln und in tiefem Schlaf.
    Sie beschränkten ihre Kommunikation auf das Nötigste, keine von ihnen konnte das Zittern in ihrer Stimme verbergen, und so brachten sie nur mühsam einzelne Worte heraus, als gäbe es, je näher der Mord rückte, umso weniger zu sagen.
    »Zwei Türen«, sagte Karen. »Sarah und ich brechen hinten durch die Küchentür ein. Jordan, falls der Wolf versucht, durch die Haustür zu fliehen, musst du ihn daran hindern. Sobald wir drinnen sind, machen wir dir auf.«
    Sie nickten alle.
    Keine von ihnen sprach den Gedanken aus, der ihnen allen auf der Zunge lag:
Falls es der Wolf ist.
    Jordan fragte auch nicht:
Und wie halte ich ihn auf? Und was genau verstehst du darunter, ihn daran zu »hindern«?
Und schließlich:
Was machen wir, wenn er uns doch entwischt?
Alle diese Fragen lagen auf der Hand. Mit der Unausweichlichkeit der Konfrontation war jede Gewissheit verflogen; alle drei Roten hatte ein seltsamer Schwebezustand jenseits jeglicher Vernunft erfasst. Es war ein Märchen, das sie sich selbst ausgedacht hatten.
    »Die Treppe hoch und nach rechts. Sie können nur im Elternschlafzimmer sein. Dort müssen wir hin. Es muss schnell gehen. Sie werden schlafen, wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite, aber wahrscheinlich haben wir sie mit unserem Einbruch schon geweckt.«
    »Mal angenommen …«, setzte Sarah zu einer Frage an, verstummte aber sofort. Ihr wurde bewusst, dass es hundertfach
mal angenommen
gab und es unmöglich war, alle Eventualitäten vorauszusehen.
    Jordan sprach mit erstickter Stimme.
    »In
Kaltblütig
von Capote trennen sie die Familie Clutter, sobald sie drinnen sind. Sollen wir …«
    Auch sie brachte ihren Satz

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