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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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nicht zu Ende.
    Keine von ihnen sprach das Wort
Hausfriedensbruch
aus, auch wenn es exakt ihr Vorhaben beschrieb: ein brutales Verbrechen, da es die amerikanische Befindlichkeit im Innersten traf – die Vorstellung, im eigenen Haus vollkommen sicher zu sein. Banküberfälle, Schüsse aus dem fahrenden Auto, Revierkämpfe zwischen Drogenbanden, selbst Paare, die ihre Scheidungsfehde mit Feuerwaffen austrugen – dies alles war halbwegs nachzuvollziehen und einzuordnen. Hausfriedensbruch nicht. In den meisten Fällen war er durch bizarre Phantasien von Vergewaltigung oder vermeintlichen Reichtümern motiviert, die es dann doch nicht zu holen gab. Dieses Verbrechen hatte Jordan in den letzten Tagen gründlich studiert. Nur dass es nach Jordans Recherchen normalerweise der böse Psychopath war, der unschuldige Menschen in ihren eigenen vier Wänden überfiel. In dieser Nacht war es umgekehrt – die Unschuldigen drangen in das Haus des Wolfs ein. So jedenfalls stellte es sich im Schutz des Wagens dar, doch waren sie erst einmal dort draußen in der Kälte, würde sich vielleicht alles ins genaue Gegenteil wenden.
    »Möchte jemand noch etwas sagen?«, fragte Karen.
    »Antworten«, sagte Sarah heiser. »Wir sollten Antworten verlangen.«
    Die drei Roten tauchten aus dem Wagen auf wie schwarze Tintenkleckse im Dunkel der Nacht. Sie zogen die Kapuzen über den Kopf, rückten sich die Sturmmützen zurecht und steuerten zielstrebig das Haus an. Ein Hund bellte in einem der benachbarten Domizile. Allen drei Frauen kam ein beängstigender Gedanke.
Wenn er nun einen Hund hat? Einen Pitbull oder Dobermann, der seinen Besitzer verteidigen will?
Sie behielten ihre Sorge für sich. Karen hatte das Gefühl, dass jeder Schritt ihnen vor Augen führte, wie wenig sie davon verstanden, ein Verbrechen zu begehen, geschweige denn ein so schweres.
    Jede von ihnen hätte am liebsten die anderen gepackt und gesagt:
Was zum Teufel treiben wir da eigentlich?
Doch keine sprach es aus. Es war, als stürzten sie alle drei kopfüber eine steile Böschung hinunter, und es gab nichts, woran sie sich festhalten und ihren Fall abbremsen konnten.
    Karen war speiübel.
    Sarah drehte sich vor lauter Zweifeln alles im Kopf.
    Jordan hatte weiche Knie.
    Jede Rote war auf ihrem Weg durch die Nacht vor Anspannung wie gelähmt. Die Kälte richtete wenig gegen die heißen Wogen der Angst aus, die in ihnen tobten. Nach allem, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatten, fühlten sie sich klein und hilflos.
    An der Vorderseite des Hauses deutete Karen stumm auf das Gebüsch seitlich von der Haustür. Jordan schlüpfte geduckt hinein und machte sich, so gut sie konnte, unsichtbar. Die anderen beiden Roten liefen unauffällig ums Haus zur Gartenseite.
    So plötzlich mitten in der Nacht allein zu sein war für Jordan ein erdrückendes Gefühl. Sie horchte auf ein Geräusch und hatte gleichzeitig Sorge, dass sie mit ihrem lauten Atem die Bewohner des Hauses und sogar die Nachbarn, ja, die Polizei und die Feuerwehr wecken würde. Sie rechnete jeden Moment damit, von Sirenen und blitzenden Warnlichtern eingekesselt zu werden, während laute Stimmen ihr befahlen, mit erhobenen Händen aufzustehen.
    Langsam und so leise sie konnte zog sie den Reißverschluss ihrer Leinentasche auf. Sie nahm ihr Messer heraus und legte die Finger fest um den Griff.
    Sie glaubte nicht mehr daran, dass sie damit umgehen konnte. War es ihr noch vor wenigen Tagen so leicht und selbstverständlich erschienen, mit einer scharfen Klinge zuzustoßen, schien es jetzt ein Ding der Unmöglichkeit. Wo war Jordan, die Athletin, die Schnellste und Stärkste in der Mannschaft, die gewitzte, hübsche und von allen gemobbte Jordan? Und wer war diese Fremde, die an ihre Stelle getreten war und der sie nicht über den Weg traute? Hätte sie ein Gebet gekannt, wäre jetzt der Moment dafür gewesen. Doch wie die Dinge lagen, kauerte sie neben der Eingangstreppe, und obwohl ihre schwarze Kleidung sich wie ein Puzzleteil nahtlos in die Nacht einfügte, zuckten und bebten ihre Muskeln, und sie konnte nur hoffen, dass diese nicht wiederzuerkennende Jordan, wenn es so weit war, den nötigen Zorn aufbrachte.
     
    Schlag das Fenster ein und fasse durch das Loch. Lege das Riegelschloss um. Greif an.
    Karens Plan war nicht gerade subtil. Im Film wirkte es immer so einfach: Die Akteure sind ruhig, intelligent, tun nichts Überhastetes, sondern handeln klug und entschlossen.
So einfach ist es im realen Leben

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