Der Wolf
ist zweifellos eine seltene Ausnahme. Aber auch
die zweiundzwanzig Monate alten Wölfinnen zeigten – mit
Ausnahme von Finsterau als Alpha-Weibchen – kein sexuell
gefärbtes Verhalten vor und während der Ranzzeit, obwohl
sie stets sowohl deutlich vaginale Blutungen hatten wie
auch von der Alpha-Wölfin nicht im geringsten unterdrückt
wurden. In keinem Fall entwickelten die Rüden irgendein sexuelles Interesse für sie. Auch hier scheint also eine
sozial bedingte Frigidität vorzuliegen, die junge, noch im
Rudel auf Subdominanten Positionen gebliebene Weibchen
an der Reproduktion hindert.
Neben diesen an den Gehegewölfen festgestellten Ursachen möglicher Nichtpaarung dürften in freier Wildbahn
sicherlich noch weitere Faktoren Einfluß haben. Einen haben
wir schon bei den Wölfen in den Abruzzen kennengelernt :
Das läufige Weibchen ist allein und findet keinen Partner.
Womöglich spielt auch der Ernährungszustand eine Rolle ;
bei erheblicher Unterernährung könnte die Läufigkeit aussetzen. Wichtiger in diesem Zusammenhang dürften aber
die Nichtbefruchtung und der Abgang bereits befruchteter Embryonen sein.
Anhand weiterer Daten aus Alaska wissen wir, daß bei Wölfinnen nicht alle reifen Eizellen befruchtet werden und daß
Embryonen im Mutterleib absterben können. Die genauen
Ursachen dafür kennen wir nicht, aber es ist anzunehmen,
daß Futtermangel, Verletzungen und Streß eine Rolle spielen. So bekamen weder Finsterau noch Tatra im Frühjahr
1976 Welpen, obwohl sie beide mehrmals gehangen hatten.
Dafür waren fraglos die ständigen Kämpfe und Verfolgungen verantwortlich.
Welpensterblichkeit
Viel größer als die embryonale Todesrate ist die Sterblichkeit der bereits geborenen Welpen, vor allem in den ersten
Lebenswochen, sodann im Laufe des Herbstes und des ersten Winters. – Schon bei der Geburt sterben einige Welpen ;
wie groß die Sterblichkeit hier ist, wissen wir jedoch nicht,
da die Welpen ja in einer Höhle geboren werden, zu der wir
meistens keinen Zugang haben. Außerdem werden totgeborene oder später gestorbene Welpen in der Regel von der
Mutter aufgefressen, wie wir in Kiel beobachten konnten.
Nicht immer ging die werdende Mutter zur Geburt in
den Stall. Einmal, als ich im Institut Sonntagsdienst hatte,
gebar ein Puwo-I-Weibchen seine Welpen im Freien. Es hatte
einige Grad unter Null, und die kleinen Welpen lagen völlig hilflos auf dem hartgefrorenen Sand. Als ich sie aufhob,
um sie in den Stall zu tragen, glaubte ich, einer sei bereits
tot, da er ganz kalt und steif war. Da Sonntag war, trug ich
ihn ins Institut und legte ihn in einen Kühlschrank für den
Präparator. Nachmittags kam ich zufällig an dem Raum
wieder vorbei, und – kaum zu glauben : Aus dem Kühlschrank drangen Winseltöne. Es war wirklich ein Phänomen. Der Welpe war im Kühlschrank wieder aufgetaut und
krabbelte umher. So trug ich ihn wieder hinunter zu seiner
Mutter, die ihn bald an ihren Zitzen die erste Milch trinken ließ. Er überlebte und lieferte so einen wohl kaum zu
übertreffenden Beweis für die Lebensfähigkeit neugeborener Wolfs- und Hundewelpen.
Länger dauernde Kälte und andauernden Hunger kann
natürlich kein Wolfswelpe überstehen. Welpen sind in den
ersten Wochen ausschließlich von der Mutter abhängig,
und falls diese allzulange selber auf Jagd gehen muß und
dann möglicherweise auch nichts findet, sterben sicherlich
viele. Hierzu liegen aus freier Wildbahn nur grobe Schätzungen vor. Pimlott zum Beispiel rechnet mit einer Welpensterblichkeit von bis zu 75 Prozent im Verlauf des Sommers
und des Herbstes. Dave Mech stellte fest, daß das Gewicht
der Welpen im Herbst sehr wichtig ist für ihre Chancen,
den ersten Winter zu überleben. Bei den Fangaktionen im
Herbst hatte er im Laufe der Arbeit insgesamt 73 Welpen
gefangen und vermessen, bevor er sie – mit Radiosendern
und Ohrmarken versehen – wieder freiließ. Daher konnte
er das weitere Geschick vieler dieser Jungen verfolgen. Es
ergab sich, daß Welpen, die im Vergleich zu einer vorher an
Gefangenschaftswelpen aufgestellten »Standard-Gewichtskurve« zu geringes Gewicht besaßen (unter 75 Prozent), nur
eine sehr geringe Lebenserwartung hatten.
Die Beobachtungen auf Isle Royale schließlich zeigen,
daß die Lebenschancen der Welpen weitgehend abhängig
sind von der Größe des Rudels, in das sie hineingeboren
werden. Größere Rudel hatten in der Regel mehr Erfolg,
ihre Welpen bis in den ersten Winter hinein am Leben
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