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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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zu
erhalten, während Einzelpaare oder kleine Gruppen entweder erst gar keine Jungen bekamen oder diese bald verloren. Offensichtlich waren sie nicht in der Lage, die Welpen mit genügend Nahrung zu versorgen.
Paarung
    Wenn das ranghöchste Weibchen unseres Rudels im Herbst
zunehmend aggressiver gegen weitere Weibchen wurde,
zeigte es gleichzeitig gegen einen oder mehrere ranghohe
Rüden anfangs auffällig häufig und intensiv ein freundlichaufdringliches Verhalten (wie Quer-Hochspringen, Drängeln, aktive und passive Unterwerfung), das später deutlich
sexuell gefärbt wurde, zum Beispiel durch Quer-über-demPartner-Stehen, Von-hinten-Hochreiten, Beckenstöße und
zuletzt durch Präsentieren. Auch Spritzharnen wurde jetzt
sehr viel häufiger, wobei kurz vor und während der Ranzzeit die Initiative dazu fast ausschließlich vom Alpha-Weibchen ausging. Dessen Urinstelle wurde von den meisten
Rüden berochen ; doch nur wenige – wie einer der beiden
oder beide Ranghöchsten und womöglich auch der ranghöchste Juvenile – spritzharnten anschließend an derselben Stelle. Diese Tiere waren es dann auch, die als einzige
das Alpha-Weibchen direkt genital beriechen durften. Versuche anderer wehrte entweder das Weibchen selbst oder
einer der ranghöheren Rüden ab. Das Verhalten und wohl
auch die geruchliche Veränderung der Wölfin schienen
Spermatogenese und sexuelle Aktivität der Rüden anzuregen. In der Ranzzeit übernahmen sie dann weitgehend
die sexuelle Initiative.
    Vor der Ranz richtete das Alpha-Weibchen sein Aufforderungsverhalten in der Hauptsache gegen den ranghöchsten Rüden und den letztjährigen Partner, die aber nicht
immer identisch waren. Dieser verdrängte zumeist während der ganzen, etwa zwei bis drei Wochen andauernden
Ranzzeit die anderen Rüden vom Alpha-Weibchen und
kopulierte allein mit ihm. In der Regel war es der AlphaRüde, der, wenigstens in der Hochranz (also etwa die zehn
Tage in der Mitte, die Zeit der größten Empfängnisbereitschaft des Weibchens), die anderen Rüden verdrängte, kopulierte und den Rudelnachwuchs zeugte. Das Alpha-Weibchen zeigte zwar Präferenzen ; vor allem wehrte es sich
gegen Wurfbrüder sowie gegen rangniedrige Rüden und
auch gegen eigene Söhne. Wer aber von den ranghöchsten
Rüden an die paarungsbereite Wölfin herankam, schienen
diese unter sich auszumachen.
    Einige Beobachtungen aus freier Wildbahn – vor allem von
Gordon Haber in Alaska – bestätigen, was wir in unserem
Rudel beobachteten : daß nämlich auch der Beta-Rüde als
Paarungspartner in Frage kommt. Warum der ranghöchste
Rüde in diesen Fällen nicht sexuell aktiv wird, wissen wir
nicht. Auf Isle Royale wurde freilich nie eine Kopulation
zwischen dem zweiten Rüden und dem Alpha-Weibchen
beobachtet, dafür aber häufiger eine enge Bindung zwischen
dem Alpha-Paar und dem zweiten ranghohen Rüden.
    Gordon Haber hat auch Kopulationen des Alpha-Weibchens mit mehreren Rüden während einer Ranzzeit beobachtet. Bei unseren Beobachtungen war dies sogar die Regel,
wobei die zusätzlichen Rüden vor allem zu Anfang und
Ende der Ranzzeit Erfolg hatten, also zu einer Zeit, während der eine Befruchtung unwahrscheinlich war. Rückrechnungen vom Geburtstermin der Welpen ergaben dann
auch stets, daß der Partner des Weibchens in der Hochranz die Welpen gezeugt haben mußte.
Individualinteresse und Verhaltensstrategie
    Die möglichen Verhaltensmuster der Wölfe sind offenbar
sehr differenziert. Zur Anpassung individuellen Verhaltens
an verschiedene soziale Bedingungen – also zur Maximierung der Gesamteignung – stehen den Wölfen eine Vielzahl unterschiedlicher »Verhaltensstrategien« zur Verfügung. Je nach Interessenlage der einzelnen Rudelmitglieder,
die nach Geschlecht, Alter und Rang ganz unterschiedlich
sein können, kommen die verschiedenen Möglichkeiten
sozialen Verhaltens im Rudel zum Einsatz. Gleiches gilt
für die Anpassung an die ökologischen Bedingungen.
    Betrachten wir diese Verhaltensstrategien von der Interessenlage der einzelnen Rudelmitglieder. Natürlich meint
der Ethologe, das sei hier nochmals betont, mit »Interessenlage« nicht, die Tiere hätten eine bewußte Vorstellung
von dem, was in ihrem Interesse liegt. Das Verhalten der
Wölfe hat sich vielmehr durch Selektion an die jeweiligen
Bedingungen, unter denen sie im Rudel leben, angepaßt.
    Genetisch vorgegebene Verhaltensnormen führen dazu,
daß ein Rüde sich in vielerlei Hinsicht anders verhält als
ein

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