Der Wolf
sah aus, als verharrten sie, durch den sozialen
Druck bedingt, verhaltensmäßig im Zustand von Jungtieren
– eine Art sozial bedingter Retardierung auf infantiles Verhalten. Doch wie gesagt: Spiel ist ja nur scheinbar infantil.
In Wirklichkeit ist es durchaus ernst, es geht nämlich für
die Subdominanten um den Verbleib im Rudel – und das
kann eine Vorentscheidung über Leben oder Tod sein.
Noch häufiger spielten die Juvenilen untereinander. Dabei
zeigte sich eine deutliche Entwicklung von den geschlechtsunabhängigen Spielphasen der Welpen zu einem Spiel mit
gleichgeschlechtlichen Partnern. – Die Analyse des Spielverhaltens zeigt demnach, daß es als taktische Variante sozialer
Konfliktlösung eingesetzt wird: sowohl zur Beschwichtigung aggressiver Tendenzen Ranghöherer oder angreifender
Gruppen wie auch zum kaschierten Angriff bei Expansionstendenzen von Jüngeren und Rangniedrigen auf Ranghöhere. Spielverhalten bildet somit eine Art Puffer zwischen
freundlichem und aggressivem Verhalten. Es verhindert,
daß schon geringe Konflikte ernsthaft ausgetragen werden,
verzögert also den Einsatz verletzender und in der Regel
auch eskalierender Aggressionen : für den Zusammenhalt
des Rudels sicherlich eine ganz wesentliche Funktion.
Sexualverhalten
Ein wesentliches Phänomen wölfischer Sexualität kennen
wir bereits : In unserem Rudel bekam nur ein Weibchen im
Jahr Welpen, obwohl viele Jahre hintereinander mehrere
geschlechtsreife Weibchen im Gehege waren. In den Jahren 1967 bis 1977 hätten, wenn jedes geschlechtsreife Weibchen Welpen geboren hätte, im Rudel insgesamt 22 Würfe
zur Welt kommen müssen. Statt dessen waren es nur fünf
Würfe mit insgesamt 25 Welpen, also durchschnittlich fünf
Welpen je Wurf. Wenn wir fünf Welpen als voraussichtlichen Durchschnitt auch für die nichtgeborenen Würfe
annehmen, sind also nur 25 von 110 (oder 23 Prozent) der
möglichen Geburten realisiert worden.
Die Frage stellt sich, ob diese Geburtenbeschränkung eine
Besonderheit ist für alle Wolfsrudel oder vielleicht nur für
Gefangenschaftsrudel oder gar nur für unsere Rudel. Nun,
im Frankfurter und in anderen Zoos sind schon mehrere
Weibchen trächtig geworden. Doch das sind Ausnahmen,
zu deren Erklärung man diese Zootiere eine Zeitlang genau
beobachten müßte. Im Brookfield Zoo in Chicago beispielsweise bekam über mehrere Jahre hinweg nur das AlphaWeibchen Welpen. Als es starb, konnten die drei Subdominanten Weibchen unter sich die Rangfolge nicht gleich
ausmachen und bekamen prompt alle drei Nachwuchs. Erst
als im nächsten Jahr eine der drei die Rangfolge für sich
entschieden hatte, wurde wieder nur ein Wurf geboren.
Auch im Ost-Berliner Zoo bekamen über mehrere Jahre
zwei Weibchen Junge, doch hier starben stets die Welpen
des rangniedrigeren Weibchens, worauf dieses sich an der
Aufzucht der Welpen des ranghöheren beteiligte.
Die Ursachen für die Reduktion der Nachwuchsrate scheinen also vielfältig zu sein. Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, wollen wir uns erst die Verhältnisse in freier Wildbahn anschauen. Hier ergeben die ermittelten Daten ein
ebenso vielfältiges Bild. Adolph Murie, der als erster Wölfe
beobachtete, fand in einem Sommer im Mount McKinley
National Park in Alaska ein Rudel mit zwei führenden Weibchen, die offensichtlich ihre Welpen in getrennten Höhlen zur Welt gebracht hatten, danach aber zusammenzogen und gemeinsam mit den Rüden alle Welpen aufzogen.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Weibchen waren nicht bekannt, aber Murie nahm an,
daß das eine jünger war, womöglich sogar die Tochter des
Alpha-Weibchens.
Solche Einzelbeobachtungen sind natürlich nicht sehr
aussagekräftig. Bessere Ergebnisse erhält man durch die
Untersuchung des Geschlechtstraktes getöteter Tiere. So
waren von 89 im März und im April der Jahre 1959 bis 1966
in verschiedenen Gebieten Alaskas geschossenen zwei Jahre
alten und adulten Weibchen bis auf zehn alle trächtig ; das
sind 89 Prozent. Falls diese Zahlen für die Verhältnisse in
großen Teilen Alaskas zur Zeit der Untersuchung repräsentativ sind, bekamen fast alle geschlechtsreifen Weibchen dort Welpen. Dagegen hatten von siebzehn getöteten
adulten Weibchen im Algonquin Park in Ontario, Kanada,
nur zehn (59 Prozent) im vorangegangenen Frühjahr Welpen geboren. Diese Daten werden von Beobachtungen aus
anderen Untersuchungsgebieten Nordamerikas gestützt.
Dave Mech berichtet, daß viele seiner mit
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