Der Wolf
Schluß, daß 15 bis 30 Prozent Welpen in einer Population anzeigen, daß hier kein oder nur
ein geringer Jagddruck herrscht, während 50 Prozent oder
mehr Welpen ein Anzeichen erheblicher Wolfsverfolgung
sind. Erst eine sehr intensive Verfolgung – wie bis vor kurzem in den Abruzzen, wo die Wölfe am Rande der Ausrottung standen – führt wiederum zu einem geringeren Anteil
von Welpen, weil jetzt eine kritische Dichte erreicht wird,
bei der die wenigen am Leben gebliebenen geschlechtsreifen Wölfe häufig keinen Partner finden.
In diesem Zusammenhang hat Dave Mech noch eine
interessante Beobachtung gemacht : In einer Population
hoher Dichte im Norden Minnesotas waren von 77 Welpen 52 (66 Prozent) männlichen Geschlechts. In zwei weiteren Wolfsgebieten in Minnesota mit intensiver Wolfsbejagung (und, als Folge davon, geringer Dichte) waren hingegen unter fünfzehn gefangenen Wölfen nur vier Rüden (27
Prozent). Die Daten sind wohl zuwenig umfangreich, um
den Zufall auszuschließen ; sie deuten aber auf die Möglichkeit hin, daß in saturierten Populationen ein Übergewicht an männlichen Wölfen schon mitbedingt ist durch
ein ungleiches Geschlechtsverhältnis bei der Geburt. Das
könnte zur Regulation der Population beitragen.
Welche Faktoren sind es nun, die in Populationen oberhalb der kritischen Dichte bestimmen, ob ein Weibchen
gedeckt wird, Welpen bekommt und diese auch erfolgreich
aufziehen kann? Nach meinen Erfahrungen mit dem Rudel
im Bayerischen Wald scheinen vier Faktoren eine Paarung
der Weibchen in der Ranzzeit zu verhindern oder zu erschweren :
1. Eine Wurfgeschwister-Inzestbarriere: Von 1970 bis 1972
kam es zu keiner Kopulation zwischen Mädchen und einem
ihrer drei Brüder. Auch St. Oswald, der Bruder des neuen
Alpha-Weibchens Finsterau, interessierte sich nicht für seine
läufige Schwester. Während der Ranzzeit im Februar 1974
war er sogar der einzige unter den vier geschlechtsreifen
Rüden des Rudels, der nicht versuchte, Finsterau zu dekken. Aus einigen zoologischen Gärten sind mir indessen
Geschwisterpaarungen bekannt, so daß die wenigen Beobachtungen in unserem Rudel sicher keine allgemeingültige
Regel, sondern nur eine Tendenz aufzeigen : Paarung ja, aber
möglichst nicht mit einem der Wurfgeschwister.
Inwieweit auch eine Inzestbarriere zwischen Mutter und
Sohn sowie zwischen Vater und Tochter besteht, läßt sich
anhand der bei unserem Rudel gemachten Beobachtungen
nicht sagen. Finsterau wehrte zwar Kopulationsversuche
ihrer Söhne ab. Dies tat sie aber auch gegen andere rangniedrige Rüden, so daß ihre Ablehnung nicht unbedingt
auf die nahe Verwandtschaft zurückzuführen ist.
2. Die Aggressivität des Alpha-Weibchens : In einigen Fällen verhinderte das Alpha-Weibchen durch einen direkten
Angriff eine Kopulation subdominanter Weibchen. Weitaus häufiger aber versuchten die unterdrückten Weibchen
erst gar nicht, einen Rüden zu animieren. Sie hatten zwar
alle vaginale Blutungen, und mein Hund Flow zeigte ebenfalls eindeutige Reaktionen, nicht aber die anderen Wölfe.
Warum sie dies nicht taten, sondern – wenn überhaupt –
in den allermeisten Fällen nur dem Alpha-Weibchen hinterherliefen, weiß ich nicht. Die Synchronisation sexueller
Aktivität scheint bei Wölfen eine überaus diffizile Angelegenheit und Frigidität als Folge von sozialem Streß die häufigste Ursache ausbleibender Paarungen zu sein.
3. Schwere Verletzungen und Streß : Nach dem Verlust
ihrer Alpha-Position und den dabei erlittenen Verletzungen wurde Mädchen während der Ranzzeit 1973 überhaupt
nicht läufig. Auch in den nächsten Jahren war in dieser Hinsicht kaum etwas zu bemerken. Die Rüden in dem kleinen
Gehege jedenfalls wurden in keiner Weise animiert. (Nur
Flow, als hypersexualisiertem Domestikationsprodukt, entging auch dieser Anreiz nicht. Da aber im Spätwinter nicht
nur die Wölfinnen, sondern auch alle Hündinnen Waldhäusers läufig waren, doch vor Flow weggesperrt wurden,
ging er in dieser Zeit auf alles los, was nur den leisesten
Anschein canider Weiblichkeit hatte.) Verletzungen scheinen, ähnlich wie soziale Unterdrückungen, bei den Wölfen ein Streß-Syndrom hervorzurufen, das eine voll ausgebildete Läufigkeit verhindert, mit allem, was an Verhalten
und geruchlichen Signalen damit zusammenhängt.
4. Geringes Alter : Normalerweise sind Weibchen mit zweiundzwanzig Monaten geschlechtsreif. Dave Mech berichtet
zwar von einem einjährigen Weibchen, das Welpen gebar,
doch dies
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