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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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Weibchen, ein älterer Wolf anders als ein junger, ein
Ranghoher anders als ein Rangniedriger und so fort. Daneben gibt es naturgemäß individuelle, vom jeweiligen Status
unabhängige Verhaltenseigenarten, die aber hier nicht zur
Diskussion stehen. Vielmehr wollen wir das geschlechts-,
alters- und rangspezifische Verhalten an den je nach Status unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Rudelmitglieder messen.
Das Alpha-Weibchen
    Der Futterbedarf junger Wolfswelpen ist hoch. Schon im
Alter von fünf bis sechs Monaten müssen sie groß genug
sein, um an den Wanderungen des Rudels teilzunehmen.
Für ein geschlechtsreifes Weibchen im Rudel muß es daher
von Interesse sein, daß möglichst viele Wölfe sich an der
Fütterung und der Aufzucht seiner Welpen beteiligen. Es
muß also auch verhindern, daß andere Weibchen Welpen
bekommen, die seinen eigenen Konkurrenz machen.
    Wie diese Interessenlage von der ranghöchsten Wölfin
im Rudel strategisch bewältigt wird, wissen wir : Durch
aggressives Verhalten vertreibt sie weitere geschlechtsreife
Weibchen aus dem Rudel oder sorgt dafür – falls ihr das
nicht gelungen ist –, daß sie nicht kopulieren ; sollte ihr
das nicht möglich gewesen sein, verhindert sie, daß diese
Welpen austragen oder womöglich geborene Welpen weiter
aufziehen. Nach der Ranzzeit nimmt die Aggressivität des
Alpha-Weibchens wieder ab, so daß ausgeschlossene oder
stark unterdrückte Weibchen sich unter Umständen wieder ins Rudel integrieren und sich dann auch an der Aufzucht der Welpen beteiligen können. Wenn die Rudel sehr
groß sind, scheint das Alpha-Weibchen hingegen eine Integration ausgestoßener Weibchen weiterhin zu verhindern,
die ja dann nicht vonnöten ist.
    Neben ihrem freundlichen Verhalten ihm gegenüber im
Herbst und im Winter scheint vor allem der direkte sexuelle Kontakt zur Bindung eines Rüden an die ranghöchste
Wölfin beizutragen. Im Interesse ihres Reproduktionserfolges ist es sicherlich vorteilhaft, wenn ihr Partner ein ranghoher und erfahrener Wolf ist. Von daher erklärt sich ihre
starke Präferenz für den Alpha-Rüden. Kopulationen mit
weiteren Rüden kommen aber auch vor. Es ist sicherlich
keine Regel, tritt aber bestimmt häufiger auf, als man bisher gedacht hat. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die AlphaWölfin bindet dadurch mehrere ranghohe Rüden an sich
und ihre Welpen. Diese verhalten sich alle wie der Vater –
also so, als gehe es um das Weiterleben von Genen, die zu
50 Prozent den ihren völlig gleich sind.
    Eine List des Alpha-Weibchens ? Von den mathematischen
Modellberechnungen Maynard Smiths zur Evolution sozialen
Verhaltens wissen wir, daß »Lügen« und »Betrug« in Tiergruppen nur eine begrenzte Lebensdauer haben, da sie keine,
wie Smith es nennt, evolutionsstabile Strategie (»evolutionary
stable strategy« = ESS) sein können. Zwar ist ein »Betrüger« mitsamt den Genen, die seinem Verhalten zugrunde
liegen, zunächst im Vorteil bei der Fortpflanzung, denn
seine Gene breiten sich in der Population aus. Bald aber
wären Tiere, die den gegen sie gerichteten »Betrug« aufdekken können, selektiv noch mehr im Vorteil, wodurch die
»Lüge« bald sinnlos, ja sogar zum Nachteil würde.
    Doch für den »geprellten« Wolfsrüden ist es nicht so wichtig, ob er die »Lüge« entdeckt oder nicht, denn meistens ist
er ja mit dem wirklichen Vater eng verwandt. Im Sinne seiner Gesamteignung (Reproduktionserfolg aller Gene, die
den seinen völlig gleich sind) ist es sogar von Vorteil, wenn
er sich auch intensiv um die Welpen kümmert, mit denen
er ja wahrscheinlich ebenfalls einen Teil der Gene gemein
hat. Ist er der Bruder des Vaters, sind es 25 Prozent, im Vergleich zu den 50 Prozent des Vaters ; sollte er gar der Sohn
des reproduzierenden Paares sein, wären die Welpen seine
Geschwister, mit denen er 50 Prozent der Gene teilt, also
ebenso viele, wie wenn es seine eigenen Kinder wären. Auch
wenn gar keine Verwandtschaft mit Eltern und Nachkommen besteht, ist die erfolgreiche Aufzucht der Welpen trotzdem, auf lange Sicht gesehen, für ihn von Vorteil. Sie werden voraussichtlich eines Tages mit ihm gemeinsam jagen
und so auch seinen Nahrungsbedarf decken helfen. Rudel,
die keine Welpen aufziehen, erreichen in ihrer Größe bald
eine kritische Grenze, bei der sie weder genügend Beutetiere erlegen noch ihre Territorien erfolgreich verteidigen
können. Ein solches Rudel geht schnell zugrunde, und dies
womöglich, bevor der Helfer selbst die

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