Der Wolf
Womöglich fallen die Rehe auch Wolf und Bär eher
zum Opfer. Daher bedarf ihre Wiederansiedlung einer längeren Frist. Vielleicht muß man ihnen weiträumigere Ausbürgerungsgatter zur Verfügung stellen. Aber immerhin –
es gibt wieder Rehe dort, und das ist spannend genug.
Zur »Politökologie« des Wolfes
Schon zu Beginn unseres Projekts wußten wir, daß wir es
in den Abruzzen, wie in den übrigen Verbreitungsgebieten des Wolfes in Italien, mit einer Tierart zu tun hatten,
deren Tage gezählt waren, wenn sich nicht bald Grundlegendes änderte. Was sich ändern mußte, erfuhren wir
bei fortschreitender Arbeit: Jede Bejagung der Wölfe hatte
zu unterbleiben, desgleichen möglichst bald auch die Verwendung von Gift in freier Wildbahn. Außerdem mußten
wesentliche Rückzugsgebiete des Wolfes von der Bebauung
mit Straßen und Skiliften verschont bleiben. Allerdings
war uns klar, daß die besten Gesetze nichts nutzen würden, wenn die einheimische Bevölkerung den Wolf nicht
als Mitbewohner ihres Gebietes akzeptierte. Daher mußten wir auch die Einstellung der Menschen im Wolfsgebiet erkunden und herauszufinden suchen, unter welchen
Bedingungen sie den Wolf zu akzeptieren bereit wären.
Unsere ersten Versuche in dieser Richtung unternahmen
wir schon im Anschluß an unsere erste Zählung im März
1973. Wir fragten eine Reihe von Leuten, ob sie der Meinung seien, Wölfe könnten Menschen gefährlich werden.
Dabei gewannen wir den Eindruck, daß der Wolf als desto
gefährlicher eingeschätzt wurde, je weiter die Befragten
von Wolfsgebieten entfernt wohnten. In den Wolfsgebieten hielten diejenigen am wenigsten von der angeblichen
Gefährlichkeit des Wolfes, die direkten Kontakt mit Wölfen hatten. Alle befragten Schäfer waren sich über die völlige Ungefährlichkeit des Wolfes in bezug auf den Menschen einig. Die Berufsgruppe, die den Wolf für besonders
gefährlich hielt, war interessanterweise die der Wirtshausbesitzer : ein Ergebnis, das uns nicht erstaunte.
Unsere bei der Umfrage gesammelten Eindrücke wurden zwei Jahre später durch eine vom Soziologischen Institut der Universität Rom zusammen mit uns durchgeführte
wissenschaftliche Untersuchung bestätigt. Die Befragung
fand in mehreren Dörfern des Maiella-Gebietes statt. Vorausgesagt sei, daß unsere Arbeit mit den Wölfen inzwischen viel Publizität erhalten hatte, und zwar überwiegend
positive. Mehrere Fernsehfilme wurden gedreht und in der
»Televisione« gesendet. Auch in der Presse waren zahlreiche Berichte erschienen, der lokale Radiosender hatte Interesse gezeigt, und Luigi Boitani hatte eine Menge Vorträge
gehalten. So gab es wohl kaum jemanden, der nicht uns
oder wenigstens unseren antennengeschmückten Landrover kannte, der Tag und Nacht unterwegs war. Bekannt war
auch unser gemeinsam mit dem WWF geführter Kampf
gegen die Pläne, am Passo San Leonardo ein neues Wintersportzentrum zu errichten, mit Skiliften, Hotels und Ferienhäusern. Wir schlugen statt dessen die Gründung eines
neuen Nationalparks oder wenigstens eines Regionalparks
im Maiella-Gebiet vor ; unser Plan zielte auf ein Jagdverbot,
die Wiedereinbürgerung von Reh und Hirsch und, statt
des Baues kolossaler Hotelkästen, die Sanierung der wunderschönen alten Dörfer mit dem Ausbau privater Übernachtungsmöglichkeiten und kleiner Pensionen. Gegenüber
den spektakulären Plänen der industriellen Erschließung
des Maiella-Gebietes mit Pisten und Beton sah unser Vorschlag sicher etwas »unmodern« aus, hatte aber den Vorteil, daß seine Verwirklichung dem Gros der einheimischen
Bevölkerung zugute käme und der Naturtourismus – auch
wenn er weniger Geld einbrächte – jahreszeitlich nicht so
eng begrenzt wäre wie der Skitourismus.
Die Befragung ergab nun sehr deutlich, daß die Einstellung zum Wolf weitgehend abhängig war von den Interessen, welche die Befragten an den verschiedenen Alternativen für die künftige Entwicklung dieser Bergregion
hatten. Im allgemeinen positiv zum Wolf und zu seinem
Schutz eingestellt waren die Befragten aus den tiefer liegenden Gebieten, die weder Schaden durch den Wolf noch
Vorteile von der Einrichtung eines Wintersportzentrums
zu gewärtigen hatten. Eine wesentliche Rolle spielte hier
der kulturelle Gesichtspunkt, ein Tier, das die Geschichte
dieses Gebietes so stark mitgeprägt hatte, nicht einfach
auszurotten. Die Schäfer zeigten sich gleichfalls erstaunlich aufgeschlossen. Solange ihnen ihre Schäden ersetzt
würden und die
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