Der Wolf
freien Gelände geboren wurden, gelang es den verwilderten Hunden nur einmal, einen einzigen Welpen aus einem Wurf
auch großzuziehen ; alle anderen Welpen starben. Offenbar
bedürfen die Tiere zur Aufzucht von Welpen der menschlichen Hilfe. Dabei scheint die Futterfrage nicht entscheidend zu sein, zumindest nicht bei der »Ovíndoli-Bande«,
die in der Zeit der Welpenaufzucht genügend zu fressen
hatte. Die meisten Welpen starben erst im Alter von drei
bis vier Monaten, als sie anfingen, mit den Älteren mitzulaufen. Allem Anschein nach waren weder die Mutter
noch die anderen Althunde, geschweige denn die Welpen
imstande, beisammenzubleiben. Immer wieder verlief sich
ein Welpe, wurde zurückgelassen oder vergessen und starb
dann bald an Erschöpfung.
So findet die Neurekrutierung der Population verwilderter Hunde in den Apenninen wohl hauptsächlich über die
vorhandenen dörflichen Hundepopulationen statt. Zwischen
beiden Gruppen besteht auch sonst ein reger Austausch, so
daß man eigentlich gar nicht von getrennten Populationen
reden kann. In vielen Gebieten der Apenninen kommt es
ohnehin nicht zu einer Verwilderung ganzer Banden, wie
das einige Jahre lang in Ovíndoli beobachtet worden ist.
Ausschlaggebend hierfür scheint die Präsenz von Wölfen
zu sein. Dort, wo sie noch leben, verhindern sie wohl, daß
Hunde sich freilebend im Gebirge etablieren können. Umgekehrt scheinen aber auch die verwilderten Hunde Wölfe
daran zu hindern, sich in einem Gebiet niederzulassen.
Im Gebiet von Ovíndoli jedenfalls traten Wölfe erst dann
wieder auf, als die Bande der verwilderten Hunde faktisch
nicht mehr existierte.
Über ähnliche Beobachtungen in der Sowjetunion berichtet Dmitrij Bibikov in seiner neuen Biographie des Wolfes.
Auch in der UdSSR sind Hunde normalerweise eher Beute
denn Partner der Wölfe. Verwilderte Hunde treten deshalb nur dort verstärkt auf, wo die Wölfe von Menschen
besonders stark verfolgt werden und deshalb verschwinden.
Bevor sie aber gänzlich verschwinden, kommt es vermehrt
zu Bastardierungen mit Hunden. So berichtet Bibikov von
einer vierjährigen Wölfin, die sich Hunden gegenüber deutlich aggressiv verhielt; als sie nach mehreren Wochen, in
denen sie keinen Kontakt zu anderen Wölfen gehabt hatte,
mit denselben Hunden zusammenkam, begrüßte sie diese
auffällig freundlich und forderte sie zum Spielen auf.
Wie die italienischen scheinen demnach auch die russischen Wölfe nur in sozialer Notlage sich Hunden anzuschließen und sich mit ihnen zu paaren. Ansonsten verhindern
sie offenbar, daß sich freilebende Hundegruppen etablieren.
Aus diesem Grunde sieht man in der UdSSR inzwischen
vielerorts davon ab, die Wölfe völlig auszurotten.
Der Wolf in Italien
Unsere Arbeit in den Abruzzen hat deutlich gemacht, welchen Anspruch der Wolf an seinen mit Menschen geteilten Lebensraum stellt. Außer einem ausreichenden Angebot an Nahrung – wobei er nicht gerade wählerisch ist –
braucht er Rückzugsgebiete, in denen er von Störungen
durch den Menschen weitgehend frei ist. Das können entweder große, unerschlossene Waldgebiete sein oder steile,
zerklüftete Bergregionen, die ebenfalls bewaldet sein müssen. Im italienischen Verbreitungsgebiet des Wolfes fanden wir jedenfalls kein von Wölfen heute noch besiedeltes
Gebiet, wo Wald und Gebirge fehlten. In diesem Zusammenhang haben die Bemühungen der Forstverwaltung, die
weithin entwaldeten Gebirge Italiens wiederaufzuforsten,
sicher einen günstigen Einfluß.
Die Beobachtungen der nächtlichen Aktivität der Wölfe
haben auch gezeigt, daß diese in von Menschen stärker besiedelte Gebiete eindringen können. Zweimal habe ich Wölfe
bis nach Sulmona verfolgen können, einer Stadt mit etwa
dreißigtausend Einwohnern, wobei die Tiere am Tag stark
befahrene Straßen und Eisenbahnlinien mehrmals überqueren mußten. Unsere ursprünglichen Vorstellungen von
der Verbreitung des Wolfes in den Apenninen, verteilt auf
eine Anzahl inselartiger, nicht miteinander in Verbindung
stehender Populationen, schienen damit in Frage gestellt.
Daher flogen Dagmar und ich zum Abschluß unserer
Arbeit in den Abruzzen die Apenninen entlang : von Florenz im Norden bis in den Süden Kalabriens. Wir wollten
uns vor allem ein Bild davon machen, wie die Gebiete zwischen den von Luigi Boitani bei seiner Umfrage festgestellten Wolfsvorkommen in den höher gelegenen Gebirgsteilen
aussehen. Vier Tage lang flogen wir kreuz und quer übers
Gebirge. Dabei fanden
Weitere Kostenlose Bücher