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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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hatte zwischen einer Arbeit über Dreizehenmöwen
an einer der beiden renommierten Universitäten Englands
und einer Arbeit über Wölfe an der Universität Kiel, war
es wohl die alte Sehnsucht, die den Ausschlag zugunsten
der Wölfe gab.
    Folgerichtigerweise zog ich daraufhin zunächst einmal
zusammen mit meinem alten und nicht minder abenteuersüchtigen Schulfreund Christian Bahner durch die Wildnis Kanadas, um Wölfe in freier Wildbahn zu beobachten. Nach allerlei Hindernissen und monatelangem Suchen
hörten wir eines Abends im Herbst tatsächlich das Geheul
mehrerer Wölfe, das von den Ufern eines Sees tief unter uns
heraufdrang. Langgezogen schwoll es an, zuerst vereinzelt,
dann vielstimmig und dumpf, schließlich laut und weittragend im Chor, ebbte dann ab, schwoll wenig später von
irgendwo anders in der Dunkelheit unter uns erneut an –
wie Wellen am Strand und schöner als jede Musik.
    Geschlafen haben wir in jener Nacht kaum. Im ersten
Dämmerlicht sahen wir dann endlich ein ganzes Rudel
von mindestens fünfzehn Wölfen am Ufer rasten. Mehrere offensichtlich jüngere Tiere spielten im flachen Wasser, versuchten auf einen großen runden Stein hinaufzuspringen, auf dem ein weiterer Wolf stand, der jeden Belagerer zurückschubste, dann selber ins Wasser sprang und
bald in der dichten Vegetation am Ufer verschwand, gefolgt
von einer Meute ausgelassener Jungtiere. Wasser spritzte
auf, Bäumchen bogen sich unter sich balgenden Leibern.
Andere Tiere schliefen zusammengerollt im Sand oder im
plattgedrückten Gras. Nur ein, zwei Wölfe hielten an jedem
Ende des Strandes Wache und beobachteten aufmerksam
die Umgebung.
    Der Wind stand für uns günstig. Die Wölfe konnten uns
hoch oben am gegenüberliegenden Steilufer weder sehen
noch wittern, während wir sie mit unseren Ferngläsern
bestens im Auge hatten. Doch dann wollte Christian versuchen, näher an die Wölfe heranzukommen, um einen
von ihnen abzuschießen. Der Wolf fehle ihm noch in seiner Trophäensammlung, meinte er. Ich war entsetzt und
außer mir vor Wut darüber, daß ein Mensch dieses Idyll
ungestörter Natürlichkeit, wie ich es empfand, nicht nur
stören, sondern zerstören wollte. Es entstand ein heftiger
Streit, der schließlich in einem Kompromiß endete : Wir
wollten gemeinsam näher an die Wölfe herankriechen, und
Christian würde nicht schießen. Doch wir kamen nicht
weit. Ein leiser Aufschrei Christians, als er in ein Sumpfloch
fiel, ließ das ganze Rudel binnen Sekunden verschwinden.
Nicht ein Schatten war mehr von den Tieren zu sehen, nicht
einmal ein Knacken von Ästen, ein Spritzen von Wasser
waren zu hören.
    Wenige Tage später trat ich meine Arbeit in Kiel an. Jetzt
galt es nicht mehr irgendwelchen romantischen Jugendträumen nachzuhängen, sondern eine anspruchsvolle Fragestellung der experimentellen Ethologie anzugehen – eine zu
anspruchsvolle, wie sich bald herausstellen sollte. Professor
Wolf Herre, mein Doktorvater, kreuzte im Tiergarten des
Instituts Wölfe mit Königspudeln, um so mehr über den
Erbgang verschiedener Merkmale des Hundes und seines
wilden Stammvaters zu erfahren. Meine Aufgabe sollte es
sein, neben den beiden Ausgangstypen auch das Verhalten
der »Puwos«, wie die Bastarde von Pudel und Wolf genannt
wurden, zu studieren. Eine Verhaltensgenetik der Domestikation war geplant ; wir sahen uns der Evolution der Haustierwerdung auf der Spur.
    Zusammen mit meiner Frau zog ich Anfang 1967 in die
Försterei Rickling, wo uns die Forstverwaltung des Landes Schleswig-Holstein ein kleines Haus samt Gelände für
Gehege zur Verfügung stellte. Wir bauten vier Gehege, je
eines für die Wölfe, die Pudel, die Puwos der ersten und
die der zweiten Generation. Kaum waren wir damit fertig,
kam im April schon der erste Wolfswelpe zu uns, Anfa, ein
Weibchen, von dem noch viel zu berichten sein wird. Dann
folgten weitere Welpen aller vier Gruppen, und die Arbeit
begann. Doch bald waren die Zäune zwischen den Gehegen zu schwach – dem ungestüm sich äußernden Zusammengehörigkeitsdrang der Welpen hielten sie nicht stand.
So rannten die Jungtiere fortan alle durcheinander, sechzehn an der Zahl. Der Hof wurde eingezäunt, der Garten
auch ; bald lebten wir inmitten dieser wilden Schar. An eine
systematische Beobachtung war schwerlich noch zu denken. Ohnehin kannte ich das Verhalten der beiden Ausgangsgruppen, der Wölfe und der Pudel, fast nicht. Wie
sollte ich unter solchen Bedingungen das ungemein vielschichtige

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