Der Wolf
gegenseitig das
Fell. In der Ranzzeit leckt der Rüde die Genitalregion des
Weibchens und vor dem Aufreiten häufig auch deren Rükkenhaare. Offene Wunden werden von anderen Rudelmitgliedern beleckt. Dabei ist viel Interessantes zu beobachten. Es sind häufig Rüden, die in der Rangordnung nahe
beieinanderstehen, die sich gegenseitig – mitunter stundenlang – ihre Wunden lecken. Oft tut es gerade der Wolf,
der selbst die Wunde verursacht hat. Gerade in der Ranzzeit beobachten wir häufiger aggressive Auseinandersetzungen zwischen den Wölfen, die auch kleinere Wunden
zur Folge haben. Abseits vom Weibchen werden die Rüden
dagegen wieder friedlicher und lecken sich dann gegenseitig
die Wunden. Es scheint, daß diese Verhaltensweise neben
ihrer hygienischen Funktion auch die eines Beschwichtigungssignals für den Partner hat : »Trotz aller Interessengegensätze bleiben wir noch Freunde.«
Am-Fell-Riechen.
Viertes Kapitel
Die Rangordnung
Das Verhalten im Rudel wird von den wechselseitigen Erfahrungen der Wölfe untereinander bestimmt, die sich in der
Rangbeziehung ausdrückt. In diesem Kapitel möchte ich
deshalb auf die Entwicklung hierarchischer Strukturen im
Wolfsrudel eingehen. Sie werden verständlich, wenn wir
die Beziehungen zwischen den Welpen eines Wurfes im
Laufe ihrer Entwicklung betrachten, wie sie sich dann im
juvenilen Alter mit den älteren Rudelmitgliedern arrangieren und wie sie sich schließlich als erwachsene Wölfe
untereinander verhalten.
Weitere Welpen
Wölfe werden in der Regel mit zwei Jahren geschlechtsreif.
Von Anfa und den anderen Wölfen war daher im Frühjahr 1968 noch kein Nachwuchs zu erwarten. Also suchte
ich wieder nach Welpen, um sie selbst aufzuziehen. Diesmal hatten wir mehr Glück als im letzten Jahr. Aus Finnland stammende Wölfe in Hagenbecks Tierpark bekamen
fünf Junge, die ich alle übernehmen konnte. Als sie dreizehn Tage alt waren, holte ich sie in Hamburg ab und zog
sie dann, ähnlich den anderen Welpen, in unserem Haus
auf. Ich wollte wieder ihre Entwicklung genau verfolgen
und außerdem die Welpen nicht an einen Zwinger binden.
Sie mußten also zahm und leinenführig werden.
Für Anfa waren es ihre »Jungen«, und für diese wurde
Anfa bald ein fast vollwertiger Mutterersatz. Nur Milch
konnte sie nicht liefern, und so fütterten wir die Welpen,
wie im Jahr zuvor, mit Hilfe einer Spritze und eines Ventilgummischlauches. Die Welpen wurden völlig zahm. Das
lag vermutlich zum einen an unserer intensiven Betreuung
und unserer ständigen Präsenz und zum anderen daran, daß
Anfa so zahm war und uns gegenüber keine Angst zeigte.
Die Welpen lernten daraus, vor uns keine Angst haben zu
müssen, wenn sie auch nie so stark an uns gebunden wurden wie Anfa. Ihre Sozialpartner haben sie ihr Leben lang
unter Wölfen gesucht und zu Menschen eher eine reservierte Haltung eingenommen. Vor großen oder lauten und
mit technischen Gegenständen hantierenden Menschen,
besonders in Arbeitskleidung, haben sie auch stets große
Angst gezeigt.
In unserem Wohnzimmer herrschten bald wieder chaotische Verhältnisse, und Dagmar war entsprechender Laune.
Ich wollte deswegen die Welpen gern tagsüber ins Gehege
zu den anderen Wölfen bringen. Das ging aber nicht : Der
etwas kleinere und inzwischen rangunterlegene Rüde Anselm
reagierte auf die Jungen sehr aggressiv. Solange ich noch
im Zwinger war, hielt er Abstand und rannte auch vor den
stürmisch auf ihn zulaufenden Welpen fort. Ging ich aber
aus dem Zwinger heraus, so griff er sie an und biß voll zu.
Die Welpen schrien, ich tobte, und Anselm ließ die Kleinen los. Dies wiederholte sich mehrmals, so daß ich die
Welpen aus dem Gehege ganz fernhalten mußte. Großkopf
und Andra waren dagegen sehr freundlich und fürsorglich
gegenüber den Welpen.
In späteren Jahren habe ich ähnliches, wenn auch nie
wieder so aggressives Verhalten der rangniedrigeren Jungwölfe gegenüber Welpen beobachtet. Bei Anselm wurde es
derart schlimm, daß er sogar die Welpen durch den Zaun
hindurch zu beißen versuchte. Ich verstärkte deshalb den
Zaun zwischen dem Wolfszwinger und jenem Teil des Gartens, in dem sich die Kleinen aufhielten. Trotzdem gelang
es einem Welpen, die Schnauze durch den Zaun zu stekken bei seinen Versuchen, Kontakt mit den großen Wölfen zu bekommen. Anselm biß ihn daraufhin so kräftig
in die Schnauze, daß diese an mehreren Stellen gebrochen
wurde. Uns blieb nichts anderes übrig, als den kleinen Wolf
zu
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