Der Wolf
in einer kleinen Arena, in
der die Welpen vorher gespielt hatten, zwischen jeweils zwei
Welpen gelegt. Danach wurde das Verhalten der Welpen
zehn Minuten lang beobachtet. In den seltensten Fällen
beknabberten die Wurfgeschwister gemeinsam den Knochen. Manchmal wechselten die Welpen sich im Besitz des
Knochens ab. Häufiger jedoch kam es zu Kämpfen, und in
einigen Fällen schnappte sich einer der Welpen den Knochen und gab ihn während der nächsten zehn Minuten
nicht wieder her. Ein Welpe, der den Knochen mindestens
acht Minuten lang im Besitz behielt, wurde als »dominant«
bezeichnet. Am Ende der Beobachtungszeit nahm man
ihm den Knochen weg und gab ihn seinem Testpartner.
Holte er sich dann den Knochen sofort wieder, wurde er
als »vollständig dominant« bezeichnet, wenn er es nicht
tat, als »unvollständig dominant«.
Im Alter von sechs Wochen hatten sich bei den Welpen
aller fünf untersuchten Rassen kaum irgendwelche Dominanzbeziehungen entwickelt. Aber schon mit elf Wochen
war in fast fünfzig Prozent aller Paarungen ein Welpe voll
dominant über seinen Partner. An diesem durchschnittlichen Prozentsatz änderte sich dann bis zum Alter von
einem Jahr wenig, wenn auch jetzt eine größere Differenz
zwischen den Rassen zu beobachten war. Zwischen den
Welpen der drei aggressiveren Rassen – Foxterrier, Bassenjies und Shelties – stellten die Autoren vollständige Dominanzbeziehungen in nahezu 75 Prozent aller Paarungen fest,
bei den eher friedfertigen Beagles und Cockerspaniels lag
der Durchschnitt dagegen weit unter 50 Prozent.
Auch zwischen den Pudelwelpen in Rickling bildete sich
recht früh eine Rangordnung beim Fressen aus, die bis
ins erwachsene Alter bestehenblieb. Unterscheiden sich
demnach Hundewelpen von den Wolfswelpen, die ja keine
Dominanzbeziehungen ausbilden ? Ich glaube nicht. Was
Scott und Fuller bei ihren Tests feststellten und ich bei den
Pudeln beobachtete, waren lediglich Dominanzverhältnisse
im Zusammenhang mit dem Futter. Sie testeten also die
Futter-Rangordnung und nicht eine soziale Rangordnung.
Nun, was ist das für ein Unterschied ? Mir scheint es an
der Zeit, daß ich die Begriffe »Dominanz« und »Rangordnung«, so, wie ich sie verstehe, näher umschreibe.
Eine Rang- oder Dominanzbeziehung zwischen zwei Tieren beruht auf der Einschätzung der Stärke des anderen
in Relation zur eigenen in einer bestimmten Situation. Sie
entspricht also nicht unbedingt dem wirklichen Kräfteverhältnis und muß auch nicht notwendigerweise durch eine
direkte Konfrontation erfahren werden. Dominanz drückt
sich unter anderem aus (und läßt sich somit auch messen)
im individuellen Freiheitsraum, den ein Tier im Umgang
mit den Partnern innehat. Der Freiheitsraum kann sich
im Zugang zu bestimmten Objekten wie Futter oder Sexualpartner äußern oder in der Bewegungsfreiheit bei rein
sozialen Begegnungen. Je größer die Differenz zwischen
dem Freiheitsraum der Partner ist, desto größer ist der
Rangunterschied.
Wir werden später sehen, daß es nur ausnahmsweise, etwa
in der Beziehung zwischen jungen Welpen und erwachsenen Wölfen, vollständige Dominanzbeziehungen gibt.
In den allermeisten sonstigen Zweierbeziehungen ist der
eigene Freiheitsraum stets durch den des anderen mehr
oder weniger eingeschränkt. Selbstsicherheit, Hemmung
und Angst im Umgang mit Artgenossen drücken sich bei
vielen höher entwickelten Arten, so auch in besonderem
Ausmaß bei Wölfen, in Körperhaltung und Bewegung aus.
Am Ausdrucksverhalten der beteiligten Tiere läßt sich also
ebenfalls ihre Rangbeziehung erkennen. Aus dem vorigen
Kapitel wissen wir, daß der ranghöhere Wolf zum Beispiel
Schwanz und Kopf höher trägt, der rangunterlegene dagegen die Beine einknickt und bei großer Unsicherheit den
Schwanz zwischen die Beine klemmt.
Das Gleichgewicht zwischen dem eigenen Freiheitsraum
und dem des Partners ist nicht stabil, sondern häufigen Verschiebungen unterworfen durch die Tendenz beider Partner, ihren Freiheitsraum zu erweitern. Dabei sind manche
Gleichgewichtszustände stabiler als andere. Stabil sind vor
allem die objektbezogenen Beziehungen, bei denen es den
Partnern nur darum geht, den eigenen Freiheitsraum zu
halten oder zu erweitern im Interesse des Zugangs zu einem
bestimmten Objekt, nicht aber darum, den Freiheitsraum
des anderen zu verringern. Dies ist typisch für die Futterkonkurrenz. Ein Welpe ist daran interessiert, selbst zu fressen, nicht aber daran, den anderen vom Futter
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