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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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häufiger
heulten, als wenn sie zusammen im Gehege gehalten wurden. Bei unseren Spaziergängen in Rickling heulten auch
die zurückgelassenen Wölfe regelmäßig, wenn wir uns mit
Anfa und den anderen zahmen Wölfen von der Försterei
entfernten. Spätere Versuche in Bayern zeigten dann, daß
hauptsächlich zurückgelassene ranghohe Wölfe heulen, und
dies vor allem dann, wenn entweder ihr Partner, andere
ranghohe Wölfe oder aber Welpen aus dem Gehege entfernt wurden. Wurde umgekehrt ein ranghoher oder sogar
der ranghöchste Wolf aus dem Gehege genommen, heulte
das zurückgelassene Rudel eher und häufiger, als wenn ein
rangniedriger Wolf entfernt wurde.
    Diese Versuche zeigten auch, wie sehr ich selbst im Rudel
integriert war – jedenfalls zeitweise. In Rickling wohnten
wir direkt am Gehege, im Bayerischen Wald dagegen lag
unser Haus etwa fünf Kilometer von dem großen Wolfsgehege entfernt.
    Jahrelang besaß ich zwei Norwegerpferde, mit denen ich
tagtäglich zu den Wölfen ritt. Abends, nach Beendigung
der Beobachtungen, ritt ich wieder nach Hause, und fast
jedesmal während jener Zeit heulten die Wölfe, als ich eine
kleine Anhöhe, einige hundert Meter von meiner Beobachtungshütte und dem Gehege entfernt, erreicht hatte. Von
hier aus konnte ich das Konzert gut hören. Fand es einmal nicht statt, brauchte ich nur selbst kurz zu heulen, um
sofort Antwort zu erhalten.
    Diese Beobachtungen und Versuche zeigen, daß die Wölfe
mit Hilfe des Heulens bei einer Trennung Kontakt zu den
anderen Rudelmitgliedern aufrechterhalten oder aufs neue
suchen. Dabei fragt es sich, ob das Heulen mehr mitteilt als
nur den eigenen Standort, verbunden mit der »Bitte« um
Antwort über den Standort der anderen Rudelmitglieder.
Theberge und Falls erkannten, daß die Wölfe unterschiedlich heulen, je nachdem, ob sie spontan einsetzen oder ob
sie auf das Heulen eines anderen reagieren. Sie schlossen
daraus, daß möglicherweise mehr Informationen als nur
der jeweilige Standort und die Anzahl der Wölfe in der
Gruppe mit dem Heulen übermittelt werden.
    Mir kommt dies nicht unwahrscheinlich vor. Zwar glaube
ich nicht, daß differenziertere Aussagen, etwa über Laufrichtung, momentane Beschäftigung oder Jagderfolg, mit
dem Heulen übermittelt werden. Das Jagen zum Beispiel
erfolgt bei den Wölfen völlig lautlos. Einfachere Informationen, etwa über die Stimmungslage des heulenden Wolfes, könnten dagegen enthalten sein.
    Wir sind heute in der Lage, mit Hilfe des Heulens Wölfe
in einem Gebiet zu orten und sogar zu zählen. Die ersten,
die damit anfingen, waren wiederum Doug Pimlott und
seine Mitarbeiter im Algonquin Park. Sie heulten regelmäßig während der Sommermonate an bestimmten Stellen in ihrem Untersuchungsgebiet. Da die Welpen besonders gern darauf antworteten, wohl in der Erwartung, die
Älteren kämen mit Futter zurück, konnten sie so die jeweiligen Aufenthaltsorte der Welpen feststellen. Sie erfuhren
außerdem die wahrscheinliche Anzahl der Welpen, und da
manchmal auch die Älteren antworteten, überdies die Mindestzahl der erwachsenen Rudelmitglieder. Es war ihnen
ferner möglich, nicht nur den Ort der Welpenaufzucht, sondern auch die Ausmaße des Rudelterritoriums sowie der
Territorien der Nachbarrudel festzustellen. Daraus konnten
sie die wahrscheinliche Zahl aller Wölfe im Gebiet schätzen, ebenso den Aufzuchterfolg der einzelnen Rudel sowie
deren Altersstruktur, was wiederum Aufschluß über Altersstruktur und Geburtenrate der Gesamtpopulation gab. Da
sie die Beobachtungen mehrere Sommer lang wiederholten, erhielten sie mittels dieser verhältnismäßig einfachen
Methode, zusammen mit anderen direkten Beobachtungen,
ein recht gutes Bild über die Population. Die Methode war
so erfolgreich, daß inzwischen abends regelrechte »Heulexkursionen« veranstaltet werden, an denen sich viele Parkbesucher beteiligen, was sicherlich dazu beiträgt, die übliche Vorstellung vom bösen Wolf abzubauen.
    Dave Mech übernahm diese Methode bei seiner Arbeit im
weiter südlich gelegenen Minnesota als zusätzliche Informationsquelle neben der Telemetrie mit Hilfe von Radiosendern, die ich schon erwähnt habe. Er ging sogar einen
Schritt weiter. Er stellte die Frage, ob das Heulen möglicherweise eine ähnliche territoriale Funktion haben könnte
wie das Urinmarkieren. Vielleicht übermittelt das Heulen
Information nicht nur für die Rudelmitglieder, sondern
auch für Rudelfremde und Nachbarrudel und trägt so

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