Der Wolf
dazu.
Welche Funktion hat nun dieses allgemein freundliche
Zusammenkommen mit anschließendem Chorheulen ? Murie
beobachtete es hauptsächlich vor dem abendlichen Aufbruch zur Jagd. In meinem Rudel trat es ebenfalls meistens
in den frühen Abendstunden und früh am Morgen ein, als
Auftakt zur abendlichen oder morgendlichen Aktivitätsphase. Nicht beteiligt waren dabei alle unterdrückten, aus
dem Rudel ausgestoßenen oder ausgeschiedenen Wölfe.
Diese Beschränkung auf das engere Rudel läßt vermuten, daß es sich hier um eine Verhaltensweise handelt, die
den Zusammenhalt des Rudels stärkt. Die Wölfe bestätigen sich sozusagen gegenseitig ihre freundliche, kooperative Stimmung. Der Zeitpunkt des Auftretens läßt weiter
vermuten, daß diese Rudelzeremonie der Synchronisation,
der Gleichschaltung der Aktivitätsphase dient. Auf diese
Weise kommen die Wölfe nach dem Schlafen bald in eine
ähnliche Stimmung, die einen gemeinsamen Aufbruch ermöglicht.
In Rickling habe ich ein Jahr lang jedes Chorheulen registriert. Dabei stellte es sich heraus, daß die Wölfe in den
Wintermonaten sehr viel häufiger heulen als im Sommer.
Da das Rudel in jedem Winter auch enger zusammenhielt
als während der Sommermonate – ähnliche Beobachtungen liegen auch aus freier Wildbahn vor –, entspricht dies
der rudelintegrierenden Funktion des Heulens. Aber da ist
noch etwas zu bedenken : Mehrere Jahre lang registrierte
ich im Bayerischen Wald, welcher Wolf mit dem Heulen
anfing. Während es im Sommer fast immer ein Rudelmitglied war, fingen in den Wintermonaten – und hier vor allem
zur Ranzzeit von Januar bis März – ganz bevorzugt jene
Wölfe spontan an zu heulen, die nicht im Rudel integriert
waren. Diese Einzelgänger standen dabei immer weit weg
vom Rudel und richteten ihr Heulen auch nicht gegen dieses, sondern aus dem Gehege heraus. Auch aus der freien
Wildbahn kennen wir dieses Heulen. Die Amerikaner nennen es manchmal »the loneliness cry«, das Einsamkeitsheulen – sicher keine schlechte Bezeichnung. Es scheint, daß
der einsame Wolf auf diese Weise nach Gesellschaft, nach
einem anderen Wolf in einer ähnlichen Situation sucht.
Einzelwölfe reagieren dementsprechend auch nicht aggressiv gegen rudelfremde Wölfe, sondern sehr freundlich und
versuchen, möglichst schnell einen Kontakt herzustellen.
Neben der Funktion des Heulens als Kommunikation
über weite Distanzen innerhalb des Rudels und seiner rudelintegrierten Funktion beim gemeinsamen Chorheulen sowie
bei der territorialen Abgrenzung gegenüber fremden Rudeln
scheint es somit auch eine Rolle bei der Bildung neuer Rudel
zu spielen. Einzelwölfe können auf diese Weise Kontakt
zueinander aufnehmen, sich treffen, zusammen laufen, vielleicht auch sich paaren und, falls sie ein unbesetztes Gebiet
finden, ihre Welpen erfolgreich aufziehen.
Die taktile Kommunikation
Viele Formen von körperlicher Berührung mit Signalfunktion haben wir schon kennengelernt, so Schnappen, Beißen, Lecken im Gesicht und die, bei der sich ein Wolf mit
dem ganzen Körper gegen den Partner drängt. Es sind alles
Elemente komplexer kommunikativer Verhaltensweisen.
Auch bei den zwei häufigsten sozialen Verhaltensweisen
überhaupt, dem Fell- und dem Schnauzenkontakt, kommt
es neben einem möglichen geruchlichen Informationsaustausch auch zu Berührungen, die vermutlich eine Signalfunktion haben. Auf meinen Wanderungen mit mehreren
frei laufenden Wölfen zählte ich an einem Tag die Anzahl
solcher schnellen, direkten Kontaktaufnahmen und war
sehr erstaunt, wie häufig sie auftraten. Im Durchschnitt
kam es zu einem direkten Schnauze-zu-Schnauze- oder
Schnauze-zu-Fell-Kontakt sechsmal je Stunde und Wolf.
Vor allem waren es wieder die zentralen Wölfe des Rudels,
die ranghohen Erwachsenen und die Welpen, die untereinander Kontakt aufnahmen. Das deutet darauf hin, daß
diese ständige gegenseitige Berührung dem Zusammenhalt des Rudels dient.
Eine weitere taktile Informationsübertragung ist das FellLecken. Die Mutter leckt ihre Welpen nach der Geburt trokken und dann in den ersten Wochen bevorzugt im Anogenitalbereich und am Bauch. Diese Massage löst Urinieren
und Koten der Welpen aus. Die Produkte werden von der
Mutter aufgefressen (wohl zwecks Reinhaltung der Höhle).
Später beteiligen sich alle Rudelmitglieder an der Pflege
der Welpen. Wieder ist es die Bauchregion, die bevorzugt
geleckt wird. Die Welpen liegen dabei ganz still auf dem
Rücken. Auch erwachsene Wölfe lecken sich
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