Der Wolf
fernzuhalten, solange er nur selbst genug bekommt.
Die Beziehungen im rein sozialen Bereich, die nicht unmittelbar durch einen Konflikt in Zusammenhang mit dem
Zugang zu einem Objekt entstehen, sind hingegen anderer Art. Hier beobachten wir neben der Tendenz, den eigenen Freiheitsraum auszuweiten, auch den Versuch, den des
Partners einzuschränken. Diese Beziehungen sind besonders labil. Offensichtlich ist hier die Interessenlage anders,
und in der Tat werden wir am Ende erkennen, daß es für
manche Wölfe von Vorteil ist, andere zu unterdrücken. Wir
werden weiter sehen, daß die Beziehungen zwischen zwei
Wölfen auch abhängig sind von deren jeweiligen Beziehungen zu einem dritten Wolf. Die Rangordnung zwischen allen
Wölfen eines Rudels ist also mehr als nur die Summe aller
Zweier-Rangbeziehungen.
Nach der Definition der Rangbeziehungen ist die Einschätzung der vermeintlichen Stärke des Gegners abhängig von der Situation. Scott und Fuller haben demnach
nicht die soziale Rangordnung ihrer Welpengruppen untersucht, sondern die Futter-Rangordnung. Sicherlich bestehen Querverbindungen zwischen den unterschiedlichen
Situations-Rangordnungen ; sie müssen aber nicht gleichartig sein, wie viele Beobachtungen an den Wölfen zeigten.
Ein im sozialen Geschehen unterlegener Wolf kann ohne
weiteres über längere Zeitspannen erfolgreich den Vortritt
am Futter behalten. Vergleichen lassen sich die Ergebnisse
von Scott und Fuller also nur mit Beobachtungen zur Futter-Rangordnung bei den Wolfswelpen.
In Rickling habe ich daher versucht, ähnliche Tests mit
einem Knochen anzustellen. Sie schlugen aber fehl, da jede
Veränderung der üblichen Situation beim Fressen auf die
Welpen sehr störend wirkte, und zwar bei den einzelnen
Welpen ganz unterschiedlich. Während es Alexander nur
wenig ausmachte, herumgetragen und in der kleinen »Wettkampfarena« abgesetzt zu werden, reagierte Wölfchen sehr
empfindlich darauf und verkroch sich beim Versuch regelmäßig in eine Ecke. Beim normalen Fressen dagegen behauptete er sich gegenüber seinen Geschwistern ohne weiteres.
Diese Versuche wurden daher nicht weitergeführt.
Beim Vergleich zwischen den Wolfs- und den Pudelwelpen, die unter vergleichbaren Bedingungen ihr Futter bekamen, zeigte sich aber, daß in der Tat die Hundewelpen eher
eine feste Futter-Rangordnung entwickeln als die Wölfe.
Ich führe das auf zwei Umstände zurück. Erstens sind die
Unterschiede in der Körpergröße bei den Pudelwelpen sehr
viel größer als bei den Wolfswelpen, die alle zuerst etwa
gleich groß sind. Auch die weiblichen Welpen bei den Wölfen haben in den ersten Monaten in der Regel dieselbe Körpergröße wie die männlichen. Bei den Hunden sind dagegen
sowohl zwischen den Geschlechtern als auch innerhalb jeder
Geschlechtsgruppe viel größere Unterschiede festzustellen.
Womöglich waren diese Unterschiede auch bei den von Scott
und Fuller untersuchten Welpen vorhanden. Große Unterschiede in Körpergröße und Stärke begünstigen natürlich
die Stabilisierung von Dominanzbeziehungen.
Zweitens könnte es sein, daß im Laufe der Domestikation
viele soziale Elemente des Verhaltens zurückgedrängt worden sind zugunsten von Verhaltensweisen, die den Interessen des einzelnen dienen. Für das eigene Überleben ist
der Pudel nicht vom Überleben anderer Pudel abhängig,
sondern nur vom menschlichen Halter. Der Wolf hingegen ist viel abhängiger vom Wohlergehen seiner Rudelmitglieder, mit denen er ja gemeinsam jagen muß. So fressen
die Wölfe bei reichlichem Futter meistens ohne Konflikte
nebeneinander, während bei den Pudeln die Reihenfolge,
mit der die einzelnen Tiere zum Futter gelangen, genau festgelegt war. Zuerst fraß der ranghöchste Rüde, dann kam
der zweite Rüde an die Reihe, danach das älteste Weibchen
und zuallerletzt der kleinste Welpe. Diese Ordnung wurde
nur durch die ganz jungen Welpen gestört, die für kurze
Zeit relative Freiheit genossen.
Macht also die Domestikation egoistisch ? Wohl nur scheinbar. Es geht in der Evolution letztlich immer nur um das
Überleben und die Fortpflanzung der eigenen Gene. Um
dies zu erreichen, muß sich der Wolf mit seinen Rudelgenossen arrangieren, von denen er beziehungsweise das Fortleben seiner Gene auch abhängt. Den Pudelgenen dagegen
sind die anderen Pudel sozusagen »egal«. Im Grunde sind
sie nur lästige Konkurrenten, und dementsprechend verhalten sich die Tiere.
So weit, so gut. Aber ein Schüler von Scott und
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