Der Wolf
Fuller,
Mike Fox, hat bei seinen umfassenden Arbeiten über das
Verhalten verschiedener Caniden festgestellt, daß auch junge
Wölfe untereinander eine soziale Rangordnung ausbilden.
Er behauptete sogar, die zukünftige Rangstellung eines Wolfes schon im frühen Welpenalter anhand physiologischer
Werte voraussagen zu können.
Nun, ich hoffe, in diesem und im nächsten Kapitel zeigen
zu können, daß der spätere Rang eines Wolfes von vielen
verschiedenen Faktoren und nicht zuletzt in erheblichem
Ausmaß vom Zufall abhängig ist. Vermutlich gibt es auch
bei den Wölfen solche mit einem stärkeren Antrieb, in der
Rangordnung hochzusteigen, als andere, friedfertigere Artgenossen. Inwieweit diese Unterschiede aber angeboren, auf
Erfahrung im Welpenalter beruhend oder rein situationsbedingt sind, das ist heute noch nicht zu entscheiden.
Wie kam dann die Rangordnung bei Fox’ Welpen zustande ?
Ich kann sie mir nur mit dem Fehlen erwachsener Wölfe in
seinen Aufzuchtgruppen erklären. Ähnlich wie Anfa, die
auch ohne ältere Artgenossen aufwuchs, entwickeln sich
diese Tiere in vieler Hinsicht sehr viel schneller. Vermutlich hat die ständige Unterordnung unter ältere Tiere für
die normal aufwachsenden Welpen in einem Rudel einen
wesentlichen Einfluß auf ihr Verhalten auch gegenüber den
Wurfgeschwistern. Sie bleiben länger welpenhaft und verhalten sich entsprechend. Allein aufwachsende Welpen dagegen werden frühzeitiger in die Rolle von Erwachsenen hineingedrängt und verhalten sich ebenfalls entsprechend.
Rudelwanderungen
Die langen Wanderungen mit Anfa und den vier Welpen
um die Försterei waren sehr schön. Anfa und ich waren
für die Welpen so etwas wie Rudelführer. So konnte ich,
solange ich Anfa unter Kontrolle behielt, auch die Welpen einigermaßen im Gelände lenken. Erst bei der Jagd
nach einem Hasen oder im wilden Rennspiel entfernten
sie sich in der Gruppe manchmal außer Sichtweite ; aber
wieder half hier das Heulen. Anfa hingegen mußte ich jetzt
an die Leine nehmen. Sie rannte sonst gleich los und die
vier Welpen hinter ihr her. Fünf frei laufende Wölfe hätten aber sicher bald großen Ärger verursacht. Ich konnte
statt Anfas auch einen der Welpen an die Leine nehmen,
denn dann kam Anfa immer wieder zurück, da sie stets
bemüht war, alle Welpen zusammenzuhalten. Auch die
Welpen entfernten sich nicht einzeln. Wenigstens zwei mußten es sein, um längere Abstecher zu machen. Allein verschwanden sie nur bei Gefahr oder bei unserer Rückkehr
zur Försterei.
Dann war es allerdings der reinste Flohzirkus. Schon
wenn wir über die Felder auf unser Haus zugingen, folgten
die Welpen immer zögernder. Kurz vor dem Zaun tobten
sie schließlich auseinander und ich hinterher. Es blieb mir
nichts anderes übrig, als jeden Welpen einzeln hineinzutragen oder an der Leine zurückzuschleppen. Da sie jeden
Strick oder jedes Lederband wütend durchbissen, besorgte
ich mir lange dünne Eisenketten, die sie nicht durchbeißen konnten. Bald waren sie natürlich auch viel schneller
als ich. Doch es gab einen Trick, sie trotzdem einzuholen :
Beim Hinterherrennen schrie ich laut und schmiß die Ketten nach ihnen, und manchmal traf ich sogar. Sie drückten sich sofort zu Boden und blieben unterwürfig auf dem
Rücken liegen.
Das, glaube ich, war der einzige »Befehl«, den ich jemals
den Wölfen habe beibringen können. Alle sonstigen Versuche mit »Komm !« oder »Sitz !« und ähnlichem schlugen
völlig fehl. In all diesen Jahren haben mir aber wenigstens
dieses brüllende Hinterherrennen und die ängstliche Reaktion der Welpen daraufgeholfen, immer wieder ein neuerliches Weglaufen zu verhindern.
Den ganzen Sommer über gab es so bei den Wanderungen eigentlich keine größeren Schwierigkeiten. Natürlich,
einige Spaziergänger und nichtsahnende Schwammerlsucher
waren manchmal etwas erschrocken, aber nie mehr als die
Wölfe selber. Auch die Jäger wurden mit der Zeit leicht
unruhig. Sie behaupteten, die Hirsche würden nicht über
eine Wolfsspur wechseln und seien damit in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Nach dem ersten Schneefall im späten Herbst konnte ich ihnen aber beweisen, daß
dem nicht so ist. Ich ging am Abend mit allen fünf Wölfen, jetzt angekettet, um den ganzen Wald. Am nächsten
Morgen zählten wir die Hirsch- und Rehfährten, welche
die breite Spur des Wolfsrudels kreuzten. Es waren nicht
weniger als sonst ohne Wolfsspuren.
Das Gebiet, in dem ich mit den Wölfen
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