Der Wolf
Näschen gab es manchmal Auseinandersetzungen, die den Eindruck erweckten, als dienten sie nicht
nur situationsgebunden der Behauptung des eigenen Freiheitsraumes, sondern seien auch erste Stellungskämpfe für
den Platz zwei im Rudel nach Großkopf. Alexander war
dabei stets der Herausforderer, indem er mit hochgehobenem Schwanz und Kopf an Näschen vorbeistolzierte. Näschen drohte daraufhin, und Alexander drohte zurück. Auch
bei Futterstreitigkeiten und machmal sogar im Spiel entwickelten sich zwischen diesen beiden Jungwölfen ähnlich
lautstarke, wenn auch immer noch harmlose Beißereien
wie die im Schlittengeschirr.
Wölfchen versuchte sich weitgehend aus diesen Streitigkeiten herauszuhalten.
Im Februar und im März 1969 – Anfa und Andra waren
jetzt knapp zwei Jahre, Mädchen knapp ein Jahr alt – wurden die beiden älteren Weibchen läufig. Der einzige erwachsene Rüde im Rudel, Großkopf, zeigte sich aber daran überhaupt nicht interessiert. In späteren Jahren haben auch zweijährige Rüden Sexualverhalten gezeigt und sogar Welpen
gezeugt, wenn auch erst bei den dreijährigen und älteren
Rüden das Sexualverhalten in seiner vollen Stärke auftrat.
Bei Großkopf war aber überhaupt keine Reaktion zu erkennen. Womöglich hing das mit einer Inzestbarriere zusammen, die bei Wölfen zu beobachten ist, von der aber erst
später die Rede sein soll.
Wenn es auch zu keiner richtigen Ranzzeit in diesem
Winter kam – zwischen den drei Weibchen entwickelte
sich trotzdem ein sehr interessantes Verhalten.
Rangauseinandersetzungen bei den Weibchen
Zum Ende des Sommers 1968 – Anfa und Andra waren
anderthalb Jahre, Mädchen war sechs Monate alt – zeigte
sich Anfa den anderen beiden Weibchen sozial deutlich
überlegen. Die soziale Rangordnung bei den Weibchen
war aus dem Altersunterschied hervorgegangen. Aggressive Auseinandersetzungen zwischen den Weibchen waren
selten und dann nur harmloser Natur. Alle drei Weibchen
spielten ausgiebig miteinander.
In den Herbst hinein wurden die beiden älteren Weibchen zunehmend aggressiver zueinander. Andra zeigte eine
deutliche Expansionstendenz gegen die soziale Vormachtstellung Anfas. Dies geschah zuerst im Spiel, und ich habe
es deswegen zuerst auch gar nicht richtig bemerkt. Ich wunderte mich nur, daß Anfa im Spiel plötzlich laut aufbrüllte
und gegen Andra drohte, zuweilen auch zuschnappte. Andra
sprang dann sofort weg und umkreiste Anfa mit hochgehobenem Schwanz. Das war ein ganz ungewöhnliches Verhalten, und langsam bemerkte ich, daß Andra im Spiel Anfa
etwas fester als gewöhnlich biß.
Diese zuerst vom Spielverhalten überdeckte Aggressivität
Andras nahm immer deutlichere Formen an, und schließlich
zeigte Andra ganz offensichtlich – auch außerhalb des Spiels
–, daß sie Anfas Vormachtstellung nicht mehr akzeptierte.
So war in den Wintermonaten Januar und Februar keines
der älteren Weibchen dem anderen überlegen. Immer aufs
neue rannte Andra in Imponierhaltung um Anfa herum,
die aber ihre Stellung nicht aufgab. Die Situation zwischen
den beiden Weibchen wurde äußerst gespannt, und vom
Spielverhalten war nichts mehr zu beobachten. Andra wurde
zudem auch gegenüber Mädchen zunehmend aggressiver
und unterdrückte sie durch ganz direkte Angriffe, durch
Demonstration und Drohungen, so daß Mädchen schließlich in ihrer sozialen Aktivität stark gehemmt war und auch
mit ihren Brüdern kaum noch spielte. Gegenüber Anfa
zeigte sie noch deutliches Demutsverhalten, gegen Andra
hielt sie nur noch Abstand.
Im März wurden Anfa und Andra heiß, und auch Mädchen bekam schwache vaginale Blutungen. Durch das ständige Drohen und Imponieren hatte Andra jetzt eine leichte
Vormachtstellung, ohne daß es meines Wissens zu einem
ernsthaften Kampf zwischen ihr und Anfa gekommen war.
Sie versuchte, jede Form sozialer Aktivität der anderen beiden Weibchen zu unterdrücken. Diese hielten sich abseits,
spielten nicht mehr und waren in ihrer Bewegungsfreiheit
deutlich eingeschränkt. Jedesmal wenn sie von sich aus den
Kontakt untereinander oder zu einem der Rüden aufzunehmen suchten, kam Andra sofort herangesprungen und
versuchte, dieses zu verhindern. Anfa protestierte lauthals
gegen diese Unterdrückungen, während Mädchen sofort mit
dem Schwanz zwischen den Beinen verschwand. Die Situation zwischen den drei Weibchen war äußerst gespannt;
die Rüden hingegen kümmerten sich überhaupt nicht um
diese Auseinandersetzungen. Wenn wir tagtäglich Anfa
und
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