Der Wolf
verhedderten sie sich in den Ketten, gingen
aufeinander los – wohl in der Meinung, der Nächststehende
sei an ihrer eigenen Beeinträchtigung schuld –, und der
»Kettensalat« war bald perfekt. Ich machte daraufhin die
Ketten länger, so daß die Tiere nicht so nahe beieinander
standen. Dann legte ich Anfa im Geschirr fest und band
sie an einen Baum. Die beiden hinteren Enden der Zugketten wiederum band ich hinten fest, so daß beide Ketten
gut gestreckt waren. Die vier jungen Wölfe wurden dann
einzeln an die Kette gehängt. Der größte Raufer, Näschen,
kam hinter Anfa und hinter ihm wieder Mädchen, so daß
er von seinen Brüdern isoliert war. Auf Mädchen folgte
Wölfchen, und zuletzt spannte ich Alexander ein. Er war
immer der Ruhigste und auch der Bewegungsfaulste. Im
Schlittengeschirr funktionierte er also als eine Art Bremser. Die zwei parallel an den Außenseiten der Wölfe vorbeilaufenden Zugketten blieben dadurch gespannt und die
Wölfe so voneinander getrennt. Hinter Alexander wurde
schließlich ein Schlitten angekoppelt. Dagmar setzte sich
darauf – eine zusätzliche Bremse. Ich führte Anfa vorn aus
dem Garten und auf die Felder, hinter mir vier störrische,
einen Schlitten ziehende Wölfe.
Der Winter 1968/1969 war ungewöhnlich kalt, und die
Schneedecke lag lange. Wir übten unsere Schlittenpartie
fast jeden Tag und hatten die Wölfe zuletzt soweit, daß das
Ganze einige Augenblicke lang tatsächlich wie ein Schlittenzug aussah: Die Wölfe zogen den Schlitten, auf dem Dagmar saß, und ich rannte nebenher und feuerte sie an. Es
machte sogar den Eindruck, als hätten die Wölfe ihr Gefallen daran. Dann wollte einer aber nicht mehr und legte sich
einfach hin. Oder Anfa entschied sich für eine Richtung, die
garantiert Probleme bedeutete, zum Beispiel eine Böschung
hinauf oder hinunter oder in den Wald hinein.
Den größten Kettensalat hatten wir an einem kalten,
stürmischen Tag im Februar. Auf einem Waldweg machten wir Rast. Über die Felder jagte der Schneesturm, aber
hinter ein paar dichten Fichten war es ruhig. Die Wölfe
lagen friedlich nebeneinander im Schnee, als ein Rotkehlchen – tatsächlich ein Rotkehlchen – sich auf Näschen niederließ. Der Wolf schaute sich um, und der Vogel flog auf,
setzte sich aber gleich wieder direkt vor Näschen in den
Schnee. Offensichtlich suchte er bei dieser Kälte die wärmende Nähe der Wölfe. Näschen stand langsam auf und
versuchte das Rotkehlchen zu beschnuppern, das aber wieder aufflog und sich auf Anfa setzte. Darauf stand auch
Anfa auf. Der Vogel flog weiter und setzte sich mal in den
Wölfe vor dem Schlitten (Reihenfolge :
Anfa, Näschen, Mädchen, Wölfchen, Alexander).
Schnee zwischen die Wölfe, mal auf die Wölfe. Diese waren
zuerst ganz ruhig, nur eben neugierig, was da so herumflog, kletterten übereinander, sprangen empor, als der Vogel
hochflog, und versuchten ihn zu beschnuppern, als er sich
neben sie setzte. Das Kettendurcheinander wurde immer
größer und die Wölfe untereinander immer aggressiver.
Näschen ging auf Wölfchen los, Alexander auf Mädchen,
und Anfa auf alle.
Kennzeichnend für solche Auseinandersetzungen ist, daß
nicht wirklich fest gebissen wird; aber dafür geht es um so
lauter zu. Das Rotkehlchen war längst weggeflogen, der
Schnee stäubte von den Bäumen herunter, und das Durcheinander war kaum zu überbieten. So ganz traute ich mich auch
nicht in diesen Haufen wütender Wölfe hinein, erwischte
dann aber doch einen Teil der Zugkette und band diese
an einem Baum fest. Dadurch konnte ich langsam einen
Wolf am Schwanz aus dem Knäuel herausziehen und ihn
schließlich auch von seinen Ketten befreien. Dann wurde
der nächste aus dem Knäuel gezogen und losgebunden, darauf wieder der nächste, bis zuletzt nur noch Näschen übrig
war, der immer noch wild um sich biß. Ich schmiß meinen
Mantel auf ihn und drückte ihn dann mit dem Körpergewicht zu Boden, bis auch er befreit war. Dagmar rannte
inzwischen den Wölfen im tiefen Schnee hinterher und
band sie an den Halsbändern fest. Irgendwann hatten wir
sie dann auch alle wieder. An diesem Tag aber zogen wir
den Schlitten durch den Schneesturm nach Hause.
Die jetzt fast einjährigen Wölfe waren inzwischen recht
groß geworden. Die drei Rüden wogen um vierzig Kilogramm, Mädchen – jetzt deutlich kleiner – knapp über
dreißig Kilogramm. Mit Einbruch des Winters zeigten sie
eine erhöhte Tendenz zur Aggression. Vor allem zwischen
Alexander und
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