Der Wolfsthron: Roman
sie.«
Han war von Dancers Gedankengang beeindruckt. Und beschämt. Er selbst hatte sich so verraten gefühlt, dass er im ersten Impuls vorgehabt hatte, nur noch das Allernotwendigste zu tun – gerade genug, um seinen Teil des Handels zu erfüllen. Schließlich erlitt er selbst keinen Verlust, wenn Mellony auf dem Thron landete. Und wenn das bedeutete, dass es einen Magierkönig gab? Er hatte zwar nicht die geringste Lust zu erleben, dass Micah Bayar König der Fells wurde, aber vielleicht ging ihn das ja auch gar nichts an. Han schwamm ohnehin nicht in den gleichen Gewässern wie die Blaublütigen.
Das ist dein Problem, Alister, nicht wahr?, dachte Han. Du hast gedacht, du wärst der Spieler. Du hast dich für den mit allen Wassern gewaschenen Streetlord gehalten, der weiß, wie man jemanden ausnimmt. Der weiß, wie man einen Rivalen mit Blicken bezwingt und ansonsten für sich selbst sorgt.
Und dann hast du rausgefunden, dass das alles nur Kleinscheiß ist. Dass es auf der Welt klügere, rücksichtslosere Streetlords gibt.
Han fühlte sich furchtbar verletzt – in jeder Hinsicht. Und sein Instinkt riet ihm, sich von der Ursache des Schmerzes zurückzuziehen.
Er sah Dancer an, der seinen Blick offen erwiderte. Cat und Dancer hätten nicht aus Odenford zurückkehren müssen. Sie hätten dort bleiben können, wo sie es nett hatten und in Sicherheit waren, während in den Fells ein Bürgerkrieg ausbrach. Ein Krieg, der, kaum dass er begonnen hatte, Angriffe aus dem Süden nach sich ziehen würde, weil andere sich ihren Anteil an der Beute sichern wollten. Es war so schon schlimm genug in Ragmarket und Southbridge, aber wie würde es dort wohl erst sein, wenn sich das Land mitten in einem Krieg befand? Und wie lange würde er, Han Alister, wohl noch am Leben bleiben, wenn die Bayars die Sieger waren?
Er hatte gedacht, er hätte keinen Einsatz auf den Tisch gelegt, aber das stimmte nicht.
Als hätte Dancer seine Gedanken erraten, sagte er: »Ich werde nicht zulassen, dass Lord Bayar gewinnt. Eher sterbe ich, als dass ich das zulasse – und das sage ich nicht, weil ich irgendeinen Handel mit den Demonai geschlossen habe. Ich hätte dich gern in diesem Kampf an meiner Seite, aber wenn es sein muss, ziehe ich das auch alleine durch.« Dancers blaue Augen leuchteten mit einer Kraft, die Han noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
»Du wirst nicht allein sein«, sagte Cat und legte Dancer eine Hand auf den Arm. »Auch wenn Cuffs nicht mit dabei ist.«
Han musste das nicht für Rebecca Morley tun, die ihn verraten und angelogen hatte, ihn benutzt und zum Narren gehalten hatte. Er konnte es tun, um stolz auf sich zu sein und um seines Rufes willen, um Vergeltung zu üben und für Cat und Dancer, die mit ihm sterben würden, falls sie es nicht schafften.
Er konnte es für sich selbst tun, während er sich die Wunden leckte und darüber nachdachte, wie es weitergehen würde. Er würde Zeit gewinnen, um sich über seine Gefühle zu Rebecca klar zu werden. Raisa, berichtigte er sich. Es würde ihm nicht helfen, alldem aus dem Weg zu gehen. Er brauchte Zeit mit ihr, allein. Zeit, um herauszufinden, wie sie wirklich war und ob sie ihn wirklich hereingelegt hatte.
Aber dieses Mal würde er vorsichtiger sein, wenn es darum ging, sein Herz zu verschenken.
Han seufzte. »In Ordnung«, sagte er. »Ich bin dabei. Bis zum Schluss. Ich bin immer noch wütend, aber ich habe genug geschmollt.«
Cat und Dancer nickten ernst und wandten den Blick ab, als wollten sie ihm jede weitere Peinlichkeit ersparen.
»Cat«, sagte Han. »Willst du immer noch mit mir zusammenarbeiten?«
Cat musterte ihn argwöhnisch, dann nickte sie. »Ich hab dir einen Eid geschworen, oder?«
»Gut. Korporal Byrne und Averill Demonai reiten heute zurück nach Fellsmarch. Ich möchte, dass du mit ihnen gehst.«
Cat blickte von Dancer zu Han. »Was? Ich soll mit einer Blaujacke und einem Kupferkopf weggehen? Für wen hältst du mich?«
»Willst du mir nun helfen oder nicht? Weißt du noch, wie ich dir gesagt habe, dass du nicht nur die Aufträge übernehmen kannst, die dir gefallen?«
Cat nickte widerwillig. »Klar, ich erinnere mich. Aber wer soll dann hier auf dich aufpassen?« Sie machte eine ausschweifende Handbewegung. »Von denen hier traue ich niemandem.«
»Aber ich kann niemanden verschonen. Du kennst die Stadt, und ich brauche dort Augen und Ohren.« Als Cat immer noch unsicher dreinblickte, fügte er hinzu: »Ich würde dich nicht losschicken,
Weitere Kostenlose Bücher