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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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u. bedrängte ihn, sich umgehend der Gnade des Capitains auszuliefern. «Nein, die nicht hören ich! Schwimm nach Hause, Nigger , die sagen u. werfen ich in Teich. Sie Gesetzmann, nicht? Sie gehen, Sie reden, ich hier, verstecken! Bitte. Capt’n Sie hören, Missa Ewing, bitte.»
    Vergeblich versuchte ich, ihn davon zu überzeugen, daß es vor Cpt. Molyneux’ Gericht keinen weniger angesehenen Fürsprecher gebe als den Yankee Adam Ewing. Das gewagte Unternehmen dieses Moriori war seine Sache; ich wollte nichts damit zu thun haben. Er tastete nach meiner Hand, schloß sie zu meiner Bestürzung um den Griff eines Dolches u. sagte voll düsterer Entschlossenheit: «Dann töten ich.» Mit einer schrecklichen Ruhe u. Bestimmtheit drückte er die Spitze gegen seine Kehle. Ich sagte ihm, daß er verrückt sei. «Ich nicht verrückt, Sie nicht helfen ich, Sie töten ich, alles gleich. Ist Wahrheit, Sie wissen das.» (Ich beschwor ihn, sich zu zügeln u. leise zu sprechen.) «Dann töten ich. Sagen später, ich Sie angreifen, so Sie töten ich. Ich nicht Futter für Fische, Mr.   Ewing. Besser sterben hier.»
    Indem ich mein Gewissen einmal, mein Geschick zweimal u. Mr.   D’Arnoq dreimal verfluchte, befahl ich ihm, das Messer fortzunehmen u. sich um Himmels willen zu verstecken, bevor uns jemand von der Mannschaft hörte u. an meine Thür klopfte. Ich versprach ihm, während des Frühstücks an den Capitain heranzutreten, denn ihn in seinem Schlafe zu stören würde für unser kühnes Vorhaben das Verdammnißurtheil bedeuten. Damit gab der Inder sich zufrieden, u. er dankte mir. Er glitt in die aufgerollten Taue zurück u. überließ mich der beinahe unmöglichen Aufgabe, für einen eingeborenen blinden Passagier an Bord eines englischen Schoners einen Sachverhalt zu construieren, ohne seinem Entdecker u. Kajütengefährten eine Anklage wegen Verrathes einzuhandeln. Die Atemzüge des Wilden verrieten mir, daß er schlief. Ich fühlte mich versucht, hinauszustürzen u. um Hülfe zu schreien, aber mein Wort war mir vor Gott Verpflichtung, selbst gegenüber einem Inder.
    Die Mißlaute von knarrendem Schiffsholze, schwankenden Masten, gespannten Seilen u. flatterndem Segeltuche, von Schritten an Deck, meckernden Ziegen, vorbeihuschenden Ratten u. stampfenden Pumpen, von der bimmelnden Schiffsglocke, Gewusel u. Gelächter aus dem Vorschiff, Kommandos u. Shanties über das Ankerhieven u. Tethys’ ewiges Reich: all das beruhigte mich, während ich darüber nachsann, wie ich Cpt. Molyneux am besten von meiner Unschuld an Mr.   D’Arnoqs Plan überzeugen könne (ich muß nun noch wachsamer sein denn je, damit dieses Tagebuch nicht von feindseligen Augen gelesen wird), als ein schriller Schrei, aus der Ferne kommend, aber mit der Geschwindigkeit eines Pfeils herniederrasend, nur wenige Zoll über meiner Koje auf dem Deck verstummte.
    Was für ein gräßliches Ende! Ich lag stocksteif in meinem Bette u. vergaß vor Entsetzen zu atmen. Rufe erhoben sich von nah u. fern, Füße trampelten u. aufgeregte Stimmen schrien: «Weckt Dr.   Goose!»
    «Armer Kerl von Takelage fallen, tot jetzt», flüsterte der Inder, als ich mich anschickte, die Störung zu ergründen. «Sie nichts können tun, Missa Ewing.» Ich wies ihn an, sich versteckt zu halten, u. eilte hinaus. Ich glaube, der blinde Passagier fühlte, wie groß meine Versuchung war, den Zwischenfall dafür zu nutzen, um ihn zu verraten.
    Die Mannschaft stand um einen Mann herum, der mit dem Gesicht nach unten am Fuße des Hauptmastes lag. Im schwankenden Lichtschein der Laterne erkannte ich einen der Castilier. (Ich gebe zu, mein erstes Gefühl war Erleichterung, daß nicht Rafael, sondern ein anderer sich zu Tode gestürzt hatte.) Ich hörte den Isländer sagen, der Tote habe beim Kartenspiel die Arraq-Rationen seiner Landsleute gewonnen u. alles vor Beginn seiner Wache ausgetrunken. Henry kam im Nachthemd mit seiner Arzttasche herbei. Er kniete bei der entstellten Gestalt nieder, fühlte nach dem Puls u. schüttelte den Kopf. «Der braucht keinen Arzt mehr.» Mr.   Roderick rettete die Stiefel u. die Kleidungsstücke des Castiliers für eine Versteigerung, u. Mankin holte etwas drittklassiges Sackleinen für den Leichnam. (Mr.   Boerhaave will das Sackleinen vom Erlöse der Versteigerung absetzen.) Die Janmaate kehrten schweigend ins Vorschiff oder auf ihre Posten zurück, düster gestimmt durch diesen Fingerzeig auf die Vergänglichkeit des Lebens. Henry, Mr.   Roderick u.

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