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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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zeigte sich über mein (sehr gekürzt wiedergegebenes) Mißgeschick auf dem Kegelberge beunruhigt u. bestand darauf, meine Verletzungen zu untersuchen. Zuvor hatte ich das indische Mädchen dazu bewegen können, mir ein Bad zu bereiten, welchem ich überaus erquickt entstiegen war. Henry verehrte mir einen Tiegel Salbe für die Hautabschürfungen u. lehnte es ab, dafür auch nur einen Cent zu nehmen. Besorgt, dies könne meine letzte Gelegenheit sein, einen so begnadeten Arzt zu consultieren (Henry beabsichtigt, Cpt. Molyneux’ Vorschlag abzulehnen), offenbarte ich ihm meine Befürchtungen bezüglich meines Leidens. Henry hörte nüchtern zu u. frug nach Häufigkeit u. Dauer meines Unwohlseins. Er bedauerte, daß es ihm an Zeit u. Instrumenten für eine genaue Diagnose fehle, aber er empfahl mir dringend, in San Francisco gleich nach meiner Rückkehr einen Specialisten für tropische Parasiten aufzusuchen. (Ich brachte es nicht über mich, zu erwidern, daß es dort keinen solchen Specialisten giebt.)
    Ich bin schlaflos.
     
    Donnerstag, 14. November ~
     
    Wir werden mit der Morgenflut die Segel setzen. Ich bin zurück an Bord der Prophetess , aber ich kann nichts Gutes daran finden, wieder hier zu sein. Mein Sarg hat nun drei aufgerollte Trossen geladen, über die ich hinwegsteigen muß, wenn ich zu meiner Koje gelangen will, denn nicht ein einziger Zoll des Fußbodens ist frei. Mr.   D’Arnoq verkaufte dem Quartiermeister ein halbes Dutzend Fässer mit diversen Vorräten u. einen Ballen Segeltuch (sehr zu Walkers Mißvergnügen). Er kam an Bord, um die Lieferung zu beaufsichtigen, eigenhändig zu cassieren u. mir eine glückliche Reise zu wünschen. Da wir uns in meinem Sarge drängten wie zwei Männer in einem Erdloch, begaben wir uns an Deck, denn heute ist ein schöner Abend. Nachdem wir uns über verschiedene Angelegenheiten ausgetauscht hatten, verabschiedeten wir uns, u. er stieg hinunter zu seinem wartenden Beiboot, gut bemannt mit zwei jungen mischlingsblütigen Bediensteten.
    Mr.   Roderick hat wenig übrig für meine Bitte, die störenden Trossen anderwärts zu verstauen, denn er muß seine eigene Kajüte räumen (zu den Gründen später) u. sich ins Vorschiff zu den einfachen Matrosen bequemen, deren Zahl um fünf Castilier angewachsen ist, abgeworben von dem Spanier, der in der Bay vor Anker liegt. Deren Capitain wurde zur wahren Furie, doch obwohl er kurz davor stand, der Prophetess den Krieg zu erklären – eine Schlacht, die ihm mit Sicherheit eine blutige Nase eintrüge, denn er befehligt den morschesten aller Kähne –, bleibt ihm wenig mehr zu thun, als seinen Sternen dafür zu danken, daß Cpt. Molyneux nicht noch mehr Überläufer benöthigt. Allein die Worte «gen Californien» sind mit Gold bestäubt u. ziehen von überall her Menschen an wie Laternen einen Mottenschwarm. Die fünf Neuen ersetzen die zwei in der Inselbucht Entlaufenen u. die im Sturme über Bord Gegangenen, doch fehlen uns zur vollen Besatzung noch immer mehrere Leute. Finbar erzählte mir, die Männer würden über die neue Anordnung murren, denn mit Mr.   Roderick bei ihnen im Vorschiffe könnten sie nicht länger ungestört bei einer Flasche ihr Garn spinnen.
    Das Schicksal hat mir einen schönen Ausgleich beschert. Nachdem ich Walkers wucherische Rechnung beglichen hatte (natürlich erhielt der Halunke nicht einen Cent Trinkgeld), packte ich meine Kiste aus Jackbaumholz, als Henry mit folgender Begrüßung in mein Zimmer trat: «Guten Morgen, Schiffskamerad!» Gott hat meine Gebete erhört! Henry hat die Stellung als Schiffsarzt angenommen, u. ich bin nun nicht mehr ohne Freund auf diesem schwimmenden Bauernhofe. Der gemeine Seemann ist so störrisch wie ein Maulthier, denn anstatt daß sich die Mannschaft dankbar dafür zeigt, einen Arzt an Bord zu haben, der ihre gebrochenen Glieder schient u. ihre Infectionen behandelt, hört man sie unentwegt stöhnen: «Was sind wir denn, daß wir einen Schiffsarzt mitschleppen müssen, der nicht einmal den Bugspriet besteigen kann? Ein königlicher Flußkahn?»
    Ich muß einen Anflug von Verstimmung darüber eingestehen, daß Cpt. Molyneux einem vollzahlenden Gentleman wie mir nur eine schäbige Kammer gewährte, obgleich eine bequemere Kajüte die ganze Zeit lang zur Verfügung stand. Allerdings ist Henrys Versprechen, seine eindrucksvollen Fähigkeiten, sobald wir auf See sind, für eine Diagnose meines Leidens einzusetzen, von erheblich größerer Bedeutung. Meine

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