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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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doch dieses Mal bekundete der wankelmüthige Häuptling Autuas Muth seine Hochachtung. Nachdem er ihn zur Strafe hatte auspeitschen lassen, ernannte Kupaka ihn zu seinem Leibfischer. Auf diese Weise beschäftigt, ließ der Moriori ein weiteres Jahr verstreichen, bis er eines Nachmittags einen seltenen moeeka -Fisch in seinem Netze zappeln sah. Er erzählte Kupakas Frau, dieser König der Fische dürfe nur von einem Menschenkönige verspeist werden, u. zeigte ihr, wie sie ihn für ihren Ehemann zubereiten solle. («Schlimm, schlimm Gift der Moeeka, Missa Ewing, ein Bissen, du schlafen, ja, nie mehr werden wach.») Während des abendlichen Festmahls schlich Autua sich aus dem Lager, stahl das Kanu seines Herrn u. paddelte durch die kabbelige, mondlose See zur unbewohnten Pitt-Insel, sechs Meilen südlich von Chatham (auf Moriori «Rangiauria» genannt u. als Wiege der Menschheit verehrt).
    Das Schicksal war dem blinden Passagiere hold, denn als er im Morgengrauen sicher dort ankam, erhoben sich Sturmböen, u. nach ihm konnte keinem Kanu die Überfahrt gelingen. Autua lebte in diesem polynesischen Garten Eden von wildem Sellerie, Brunnenkresse, Vogeleiern, Beeren, dem einen oder anderen jungen Wildschwein (Feuer zu entfachen, wagte er nur im Schutze der Dunkelheit oder bei Nebel) u. von der Gewißheit, daß Kupaka schließlich die ihm gebührende Strafe erhalten hatte. Sei die Einsamkeit ihm denn nicht unerträglich gewesen? «Nachts Ahnen mich besucht. Tags ich erzählt Vögel Maui-Geschichten, u. Vögel erzählen See-Geschichten ich.»
    So lebte der Flüchtling viele Jahre lang, bis im vergangenen September der Walfänger Eliza aus Nantuckett während eines Wintersturmes auf dem Pitt-Island-Riff Schiffbruch erlitt. Alle Seeleute ertranken, aber unser Mr.   Walker, begierig, ein paar schnelle Guineas zu verdienen, überquerte die Meerenge, um Strandgut zu bergen. Als er Anzeichen einer Besiedlung vorfand u. Kupakas altes Kanu erblickte (ein jedes ist mit eigenthümerbezogenem Schnitzwerk versehen), wußte er, daß er etwas von unschätzbarem Werth für seine Maori-Nachbarn gefunden hatte. Zwei Tage später setzte ein großer Jagdtrupp von der Hauptinsel zur Pitt-Insel über. Autua saß am Strand u. beobachtete ihre Ankunft, einzig erstaunt darüber, seinen alten Feind Kupaka zu sehen, welcher, ergraut, aber höchst lebendig, Kriegsgesänge brüllte.
    Mein ungeladener Kajütengefährte schloß seine Erzählung ab. «Gierige Hund von diese H—n Moeeka aus Küche stehlen u. sterben, nicht der Maori. Ja, Kupaka ausgepeitscht, aber er alt u. weit von zu Hause u. sein Mana werthlos u. leer. Maori stark in Krieg u. Rache u. Fehden, aber Frieden macht sie tot. Viele zurück nach Seeland. Kupaka kann nicht, sein Land weg. Dann letzte Woche ich sehe Sie, Missa Ewing, u. ich wissen, Sie retten ich, ich wissen genau.»
     
    Die Morgenwache schlug vier Glasen, u. mein Bullauge zeigte einen regnerischen Morgen an. Ich hatte ein wenig geschlafen, doch meine Gebete, der Maori möge sich mit der Dämmerung in Luft auflösen, waren nicht erhört worden. Ich hieß ihn so zu thun, als habe er sich eben erst gezeigt, u. nichts von unserer nächtlichen Unterhaltung preiszugeben. Er bedeutete mir, er habe verstanden, doch ich befürchtete das Schlimmste: Der Verstand eines Inders war einem Boerhaave nicht gewachsen.
    Ich schritt über den Gang zur Officiersmesse (die Prophetess bockte wie ein junger Mustang), klopfte u. trat ein. Mr.   Roderick u. Mr.   Boerhaave lauschten Cpt. Molyneux. Ich räusperte mich u. entbot allen einen guten Morgen, worauf unser liebenswerther Capitain fluchte: «Sie können meinen Morgen verschönern, indem Sie sich schleunigst verp—n!»
    Ich erkundigte mich kühl, wann der Capitain wohl die Zeit finden würde, die Neuigkeiten über einen indischen blinden Passagier zu vernehmen, der soeben aus den Trossen hervorgekommen sei, welche meine sogenannte Kajüte mit Beschlag belegten. Während des folgenden Schweigens wechselte die bleiche, krötenartige Gesichtsfarbe Cpt. Molyneux’ in ein Roastbeefrosa. Ehe er explodierte, fügte ich rasch hinzu, der Eindringling behaupte, ein befähigter Seemann zu sein, u. bitte darum, sich seine Überfahrt durch Arbeit zu verdienen.
    Mr.   Boerhaave kam seinem Capitain mit den von mir vorhergesehenen Anschuldigungen zuvor u. wetterte: «Wer auf einem holländischen Kauffahrteyschiff blinde Passagiere unterstützt, theilt auch deren Schicksal!» Ich gemahnte den Holländer

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