Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
auch.
Elektras Ohrfeige versengt meine Wange. Sie ist inzwischen zu mir in die Höhe geklettert. Ihre Schwestern stehen unten auf dem Platz herum, blicken demonstrativ in die andere Richtung.
»Was sollte das denn?«
»Es wird gleich regnen!«, schreie ich sie an, und meine Haut brennt. »Er wollte doch bloß einen Unterschlupf.«
»Er ist hier eingedrungen. Die haben ihre eigenen Schutzorte.«
»In einem Dutzend Straßen im Stadtzentrum, fünf Meilen entfernt – das wird er niemals rechtzeitig schaffen!«
Sie starrt mich an. Ihre Augen glühen in einem makellos klaren Bernsteingelb, von Lid zu Lid.
»Gut« , lichtmorst sie. »Falls ich jemals in Whitey-Gebiet eindringen würde, wäre eine Steinigung noch das Mindeste, womit ich rechnen müsste.«
Sie blickt zu ihren Schwestern hinunter. »Sie wollten, dass ich dich rauswerfe, aber ich hab ihnen das mit Glas erzählt, und das mit Reach. Sie verstehen, dass du durcheinander bist. Es gefällt ihnen nicht, ganz und gar nicht, trotzdem, du darfst bleiben – aber stell dich uns nie wieder auf diese Art in den Weg.«
Mein Magen brennt so heftig wie mein Gesicht. Wie kann sie es wagen, sich für mich zu entschuldigen? Ich will sie anbrüllen, doch die ersten Regentropfen küssen bereits meine Stirn. Besorgnis flirrt über Elektras Gesicht.
»Ruh dich aus. Erhol dich« , murmelt sie hastig. Sie legt heiße Finger auf meine Brust. »Wir reden, wenn der Mond herauskommt.« Dann verschwindet sie im Brenner ihrer Lampe, der sofort zu leuchten beginnt. Ein leises Klirren ertönt, und die Scherben des Glaskolbens, den die Steine zerstört haben, beginnen zu schweben, segeln hinauf in ihrem elektromagnetischen Feld, glitzernd, als sie ihr Licht einfangen. Die Splitter sammeln sich rund um den Brenner. Für den Bruchteil einer Sekunde strahlt Elektra noch gleißender: in einem grellen und blendenden Weiß, beinah dem gleichen Farbton wie der Whitey, den sie so verachtet. Ich wende mein Gesicht ab.
Als ich abermals hinschaue, sind die Scherben zu einem neuen Kolben verschmolzen, und im Innern leuchtet Elektras Licht wieder gelb.
Ich lande leichtfüßig auf dem Boden. Die übrigen Schwestern haben sich in ihre eigenen Zufluchtsstätten zurückgezogen. Ich zittere und vergrabe die Hände in meinen Taschen.
Du darfst bleiben , hat sie gesagt. Wie haufenscheißgroßzügig von ihr.
Verstecke ich mich also? Genau das hat Elektras Tonfall zum Ausdruck gebracht, in den Schattierungen ihrer Worte. Kann es sein, dass ich mich tatsächlich verstecke ? Der Gedanke ist absurd, jemand wie ich versteckt sich nicht. Nein, ich bin hergekommen, um zu tanzen, zu entspannen, einen klaren Kopf zu kriegen und mich bereit zu machen für …
Ja, wofür? Ich verstecke mich. Ich habe Angst. Die Erkenntnis drückt mich nieder, als wären sämtliche Blutgefäße in meinem Körper mit einem Mal voller Geröll. Reach ist viel, viel zu stark für mich. All die Geisterwesen, gegen die ich gekämpft habe, die Voltspinnen, die unbedeutenden Monster der Stadt, bei keinem von ihnen hatte ich je so ein Gefühl.
Fernab in der Ödnis ist ein schwaches Leuchten erkennbar, vielleicht der Whitey.
Der böige Wind schnappt nach dem Saum meiner Jeans. Ich setze mich im Schneidersitz zwischen die Laternen. Dann kommt der Regen, und er prasselt hart auf mich nieder.
Der Whitey tanzte um sein Leben. Er wand sich, sprang ruckartig hin und her in dem Versuch, den Regentropfen zu entwischen. Er fühlte, wie seine Magnesiumknochen bebten, sich zum Wasser hinstreckten, so als wollten sie mit ihm reagieren und verbrennen. Sein fieberhaftes Tempo ließ ihn gleißen, und sein Licht spiegelte sich auf den Betonfassaden der Siedlung, erzeugte gespenstische Nachbilder. Das Gras unter seinen Füßen war nass, sodass er zuckende Schmerzensschreie ausstieß, während er weiterhastete und verzweifelt nach einem Unterschlupf suchte.
Er fand eine glitschige schwarze Abdeckplane, die zerknittert in einer Nische bei einem Nebengebäude lag. Er hockte sich hin und warf sie sich über, doch das herabrinnende Regenwasser ließ ihn aufschreien, also rappelte er sich wieder hoch und lief weiter, während sein Licht aus den tückischen Löchern in der Plane hervorstrahlte. Zischende Wölkchen kräuselten auf, wo immer der Regen ins Schwarze traf.
Plötzlich drehte der Wind. Wellen zuckten über eine Pfütze, einige Spritzer Wasser trafen das Bein des Whiteys. Er loderte auf vor Schmerz, als das Metall in seinem Knöchel reagierte:
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