Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
»Aber jetzt kommt sie zurück, um den Wolkenkratzerthron zurückzufordern, und Reach kann nicht länger warten. Er will sie schwächen, will den Tod eines jeden, der für sie kämpfen könnte. Und mit mir fängt er an.« Abermals senkte er den Blick und murmelte: »Sie ist schon so nah, und doch kann es sein, dass ich ihr nie begegne.«
Er wirkte derart verloren, dass Beth unwillkürlich die Hand ausstreckte und ihn an sich zog. Nach einem kurzen Moment des Zögerns ließ er es zu. Es war erschreckend und aufregend zugleich, diesen gehetzten Jungen im Arm zu halten. Als geriete sie allein dadurch ins Visier eines Monsters.
»Wirst sehen, wir werden schon mit ihm fertig«, flüsterte sie: besänftigende, unsinnige Prahlerei. Der Regen verwandelte den Staub in seinem Haar in Mörtel, der an ihrer Wange klebte. »Der wird nicht mal wissen, wer ihm eins übergebraten hat.«
Er löste sich von ihr, wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht. »Du bist ziemlich freigebig mit diesem ›wir‹«, sagte er, »und das ist ja auch nett und alles, bloß: Was macht dich da so sicher? Ich hab gesehen, wie du dich angestellt hast mit diesem Gleisgeist – ich will nicht unhöflich sein, aber du hattest die Hosen gestrichen voll.«
»Hatte ich nicht!«, protestierte Beth. »Ich hatte – « Doch es war vollkommen zwecklos, es zu leugnen. »Na schön, japp, okay, hatte ich: Ich hatte Todesangst . Zufrieden? Aber weißt du was? Lieber schieb ich jeden verdammten Tag meines Lebens diese Panik, als mich wieder so zu fühlen, wie ich mich gefühlt hab, bevor ich dir begegnet bin.«
Eine Stille folgte, so lang und so tief, dass Beth ausreichend Zeit hatte, sich völlig darüber klar zu werden, wie sehr sie mit dieser Aussage wie eine Stalkerin klang.
»Aber nicht auf irgend’ne gruslige Art oder so«, fügte sie hinzu, wenn auch viel zu spät. Er starrte sie an, als gehörte sie zu einer fremden Spezies.
Verlegen wandte Beth sich ab, und ihr Blick fiel auf die Laterne, die ihnen am nächsten stand. Der Regen ließ langsam nach, sodass man allmählich einzelne Tropfen voneinander unterscheiden konnte. Während sie hinsah, flackerte die Natriumdampflampe auf und erlosch, dann begann sie heftig zu flackern.
»Oh Thems, jetzt geht’s los «, nuschelte der Junge leise.
Das Leuchten streckte und wand sich unter Beths Blick wie ein gefangener gelber Stern, und kurz darauf fügten die gleißenden Strahlen sich zu einer neuen Form, das flüssige Licht verschmolz zu Gliedmaßen und Schultern, einem Rumpf, einem Gesicht – zu einer jungen Frau. Sie war nackt, und unter ihrer durchsichtigen Haut erkannte Beth flammhelle Leuchtfäden, die sich wie ein Arteriengeflecht verzweigten, während sie den Laternenpfahl hinab auf den Boden floss. Mit sinnlich anmaßendem Schritt kam sie auf sie zu.
Der Junge stand auf, offenbar voller Widerwillen. »Das wird sicher lustig« , murmelte er.
Die leuchtende Frau öffnete den Mund, und weit hinten in ihrem Rachen zuckten Lichtblitze. Sie zeigte auf Beth.
»Nur jemand, den ich getroffen hab«, antwortete er laut, ganz unschuldig.
Die Lichtfrau glühte in einem zutiefst unbeeindruckten Orange. Mehr blitzende Worte kamen aus ihrem Mund.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Beth.
»Na ja … ich glaub nicht, dass du das wissen willst«, murmelte er.
»Oh, und ob ich das will.«
Er zuckte zusammen. »Sie hat dich die Tochter einer Vierzig-Watt-Birne genannt.«
»Sie hat was ?«
»Es – äh, es lässt sich nicht wirklich gut übersetzen.«
Die Lichtfrau baute sich jetzt geradewegs vor Beth auf, die irgendeine Art Kraft an den Härchen auf ihrer Haut zerren fühlte. Sie rollte die Zehen in ihren Sneakern ein. Jedes einzelne ihrer Moleküle sirrte angesichts dessen, wie seltsam diese Sache hier war.
Die Frau trat einen weiteren Schritt vor. Beth roch etwas, von dem sie stark vermutete, dass es ihre eigenen versengten Wimpern waren. Sie lächelte affektiert, mit voller Absicht, worauf die Frau das Lächeln erwiderte und erneut irgendwas hervorblitzte.
»Lek!« Das Stadtkind klang schockiert.
Die Lichtfrau wirbelte herum und flackerte wutentbrannt kurz auf den Jungen ein, dann lief sie davon, die Stufen hinauf und über die Brücke, und das einzige Geräusch war das Zischen des Wassers, das auf ihren Füßen verdunstete.
»Wir werden ja sehen, wer hier undankbar ist!«, schrie er ihr nach. »Vergiss nicht, wer dir diesen Vertrag überhaupt erst besorgt hat!«
»Was war das denn?«, fragte Beth.
Er
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