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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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sich anders. »Erzähl mir davon« , lichtmorst sie.
    Das tue ich, und sie liest mir von den Lippen ab, in ihrer eigenen Art des Stillschweigens. Sie regt sich kaum genug, um weiterzuleuchten, sie ist beinahe unsichtbar. Als ich fertig bin, schüttelt sie den Kopf. »Vor Kurzem habe ich ein Gerücht gehört, aber ich habe nicht gedacht, dass da was dran ist. Wenn Glas allerdings glaubt … « Erstaunen umschattet jetzt ihre Worte. »Dann kommt sie also wirklich zurück?«
    »Und Gossenglas will ihr den Weg bereiten – will, dass ich mich gegen Reach stelle.« Ich lache schrill auf. »Sie hat mir das Problem vor die Füße geworfen wie ein sanftmütiges Fuchsjunges, das ein paar Fetzen Aas hinterm Müllcontainer gefunden hat.«
    Elektra lächelt.
    »Glas will, dass wir eine Armee aufstellen«, sage ich, »wie in alten Zeiten, ehe Mater Viae uns verließ. Sie meint, wenn wir auf ihre Rückkehr warten, könnte es zu spät sein.«
    Elektra setzt zu einer Antwort an, doch sie wird durch das Aufflackern eines Lichts abgelenkt – nicht das sanfte Bernsteingelb, das ihresgleichen aussendet, sondern ein grelles Weiß wie bei einer Magnesiumfackel.
    Es kommt von ihrer Lampe.
    Elektras Gesicht nimmt einen hässlichen Farbton an. »Whitey« , knurrt sie in trübem Orange.
    Ihre Schwestern haben es auch gesehen und drängen sich jetzt um Elektras Laterne. Während unserer Unterhaltung ist ein weiteres gläsernes Wesen den Pfahl hinaufgeklettert. Es strahlt ein blassweißes Licht aus, wirft ihnen angstvolle Blicke zu, die Glieder fest um sich geschlungen in dem Versuch, in den Glaskörper der Lampe zu kommen.
    Die Natriumitschwestern flackern in hellem Gelb, zeigen ihre Farben. Sie spucken Blitze wie Feuerwerkskörper, lichtmorsen in ihrer eigenen Sprache, viel zu schnell für mich. Ich schnappe nur ein paar Worte auf, derbe Verwünschungen über Elternschaft und elektrische Spannung. Der Whitey krümmt sich und zittert, sein Licht ist ein unstetes Flirren. Wahrscheinlich versteht er nicht mal die Hälfte der Flüche, die sie zu ihm hinaufbrüllen.
    Es ist Elektra, wie immer die Kühnste, die den ersten Stein wirft. Ihre Finger wirbeln um ihn herum, weben ein magnetisches Feld, das den Stein aufhebt, und er dreht sich in der Luft, schnell, immer schneller, bis er direkt auf das Glas zuschießt.
    »Lek, nein !«, schreie ich, doch sie sieht mich nicht an, sodass sie taub ist für meine Worte. Die anderen tun es ihr gleich, Steine schwirren durch die Luft wie Pistolenkugeln. Dellen übersäen den Laternenpfahl; Glas splittert. Der Whitey windet sich verzweifelt, versucht seine Leuchtadern zu schützen. Mir wird klar, dass er die Schwestern ganz zwangsläufig immer wütender macht: Je schneller er sich bewegt, um den Geschossen auszuweichen, desto heller leuchtet er, je gleißender seine Farbe, desto aufgebrachter werden die Natriumiten …
    … und desto schneller fliegen die Steine.
    Ich bin ratlos: Wieso riskiert dieser Whitey das? Wieso ergreift er nicht einfach die Flucht? Ein kurzer Blick zum Himmel und ich habe meine Antwort: Über dem orangeroten Glühen der Stadt ballen sich schwere Gewitterwolken.
    Ich treffe eine Entscheidung.
    Meinen Speer in Händen, schlängle ich mich zwischen den Körpern der Schwestern hindurch, klettere den Laternenpfahl hoch und schwenke dabei meine Waffe wie eine Fahnenstange, um die Natriumiten auf mich aufmerksam zu machen. » Stopp! Es wird gleich regnen – regnen , versteht ihr? Er ist nur ein Einziger – das hier ist keine Invasion, er sucht bloß einen Unterschlupf.«
    Sie nehmen keine Notiz von mir, doch die magnetischen Flugbahnen verschieben sich leicht, sodass die Geschosse etwas an Wucht verlieren, als sie auf dem Weg zu ihrem Ziel um mich herumwischen. Das Pfeifen der durch die Luft schwirrenden Steine vermag das panische Surren des Whiteys hinter mir nicht zu übertönen.
    Glassplitter prasseln auf mich nieder. Die winzigen Schnittwunden heilen schnell.
    Endlich spüre ich die Hitze hinter mir schwinden, als der Whitey sich auf der anderen Seite des Pfahls hinabgleiten lässt. Einen Moment lang kauert er auf dem Asphalt, und seine Korona aus weißem Licht schrumpft, als die Natriumiten sich auf ihn zubewegen. Dann stolpert er davon, die Arme um seinen Leib geschlungen, kläglich flackernd vor Schmerzen.
    Ein Hauch von Feuchtigkeit weht jetzt im Wind. Mir dreht sich der Magen um. Ich weiß, was mit ihm geschieht, wenn er draußen in ein Gewitter gerät …
    … und sie wissen es

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