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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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erinnerte sich an den Schlag, mit dem er sie beiseitegestoßen hatte, und zuckte zusammen, als sie den blauen Fleck unter ihrem Kapuzenpulli berührte. Ihre Haut war offenbar ebenso entschlossen, die Erinnerung daran zu bewahren, wie ihr Verstand.
    Denk nach, Beth: Was weißt du über den Kerl? Na schön, er rennt mitten in der Nacht über die Londoner Bahnstrecken ohne Shirt oder Schuhe am Leib, dafür aber mit ’ner scheißgroßen Eisenstange in Händen, quasselt irgendwelchen unverständlich verrätselten Mist über Licht und Musik und Monster und er hat es riskiert, von ’nem fünfhundert Tonnen schweren wild gewordenen Güterzug plattgemacht zu werden, um dich zu retten. Du musst echt zugeben, das sind nicht grade die Merkmale von jemandem, der besonders zurechnungsfähig ist.
    Sie sackte in sich zusammen, doch plötzlich kam ihr ein Gedanke: Was, wenn diese Ortsbeschreibungen gar nicht kryptisch waren? Der Junge hatte nicht bloß so ausgesehen, als ob er irgendwo auf der Straße schlief, sondern als ob er das schon immer getan hätte. Es dämmerte Beth, dass Straßennamen und Hausnummern womöglich völlig bedeutungslos waren für jemanden, der noch nie eine richtige Wohnung gehabt hatte.
    Was, wenn er Beth gesagt hatte, wo er zu finden war, so klar und eindeutig er konnte?
    Beth leckte sich über die Lippen. Sie zermarterte sich das Hirn auf der Suche nach einem Ort, der zu all dem passte. Wo der Ansturm des Gleisgeistes … Es musste in der Nähe einer Bahnlinie sein. Der Junge hatte sichergehen wollen, dass sie aus Hackney war, was das Ganze ein wenig eingrenzte. Beths Aufregung wuchs, während sie sich vorantastete – aber wo zum Henker war dann das Licht selbst die Musik ?
    Eine Erinnerung tauchte auf: an eine Fußgängerbrücke bei den Gleisen, überwuchert von Brombeerranken, die Holzbohlen gepanzert mit altem Kaugummi, härter als Beton. Die Brücke war ein Treffpunkt, an dem sie sich früher oft mit Pen verabredet hatte, um Süßigkeiten und flüsterleise Geheimnisse auszutauschen. Wenn die Züge unter ihnen hindurchschossen, klangen deren Räder auf den Schienen wie Trommeln.
    In der Sackgasse am Fuß der Brücke gab es vier Straßenlaternen. Jedes Mal wenn sie angingen, flackerten ihre Lampen in etwas, das Pen als »gebrochenen Akkord« beschrieben hatte. Beth hatte das auf eine gewisse Art immer als schön empfunden; im Flackern der Lichter hatte ein klarer Rhythmus gelegen. Und war Rhythmus nicht im Grunde schon alles, was man zum Tanzen brauchte?
    Selbst wenn sie falsch lag, als Ausgangspunkt für die Suche war der Ort allemal so gut wie jeder andere.
    Beth spähte wieder hinauf zu Pens Fenster, und all ihre Aufregung wich jäh einer Übelkeit erregenden Furcht. Und dann, als sie sich abwandte, war er da: ein stechender grellweißer Schmerz, unmittelbar hinter ihren Rippen. Das ist wie diese Phantomschmerzen, von denen man manchmal hört , sagte sie sich streng, wie Soldaten und Amputierte sie haben . Sie versuchte sich einzureden, der Schmerz komme aus einem leeren Raum, von einer Liebe, die schon vergangen war.
    Sie schaffte nicht mehr als drei Schritte, ehe sie sich zurück in die Gasse duckte.
    »Du bist ’n wachsweicher Trottel, Bradley«, grummelte sie und zeichnete, sich selbst fast zum Trotz, mit groben Strichen eine zweite Figur auf die Brandmauer: einen schmächtigen Jungen, der eine Eisenstange hielt wie einen Speer.
    Bin jagen gegangen , kritzelte sie unter das Bild ihrer Beute. Such nach mir im geborstenen Licht.
    Aus dem Hintergrund ihres Verstands fauchte ihr Zorn sie gehässig an, doch das Geheimnis war zu groß und zu einsam, als dass man es für sich behalten konnte, und trotz allem war Pen noch immer der einzige Mensch, von dem sie sich vorzustellen vermochte, es mit ihm zu teilen.
    Gebrochener Akkord, weißt du noch? , kritzelte sie darunter, dann schulterte sie ihren Rucksack und zwang sich, Schritt für Schritt, aus der Gasse.

Kapitel 9
    Nacht sickert vom Himmel. Der Atem aus den Kanalschächten fängt an zu dampfen. Die Stadt erschauert, breitet Dunkelheit darüber aus. Dies ist die Zeit, zu der die Natriumiten tanzen.
    Ich stehe auf einer Lichtung zwischen Hochhäusern, einer zur Fußgängerzone umgewandelten Asphaltinsel neben einer schmalen Holzbrücke über die Bahngleise, fernab des Verkehrs. Straßenlaternen durchstechen das Pflaster, markieren die vier Himmelsrichtungen. Zwei Kids stehen auf der Brücke, rauchen und ignorieren mich demonstrativ, während aus der

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