Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
könnte«, jammerte Petris.
»Japp«, sagte Fil, »du hässlicher Mistkerl.« Er trat einen Schritt vor und schlang seine mageren Arme um die Statue. Beth rechnete halb damit, dass die Granitgestalt die Umarmung erwidern würde, doch der steinerne Mönch blieb vollkommen reglos, während der Junge an seinem Hals hing und mit den Füßen in die Luft trat.
Ein kratziges Lachen drang aus dem Mund der Statue.
»Beth«, sagte Fil, »das ist Petris. Er hat mir fast jeden schmutzigen Trick beigebracht, den ich kenne.«
»Äh … freut mich.« Beth warf einen fragenden Blick auf die Statue. »Ich dachte, du hättest gesagt, dein Lehrer würd Gossen-irgendwas heißen.«
»Gossenglas. Verschiedene Lehrer für verschiedene Dinge. Als Sohn eines Herrschergeschlechts hat man ’ne Menge Mentoren. Glas war für mich wie ein Onkel, und eine Tante, und sie hat erstklassige Arbeit geleistet. Dieser ranzige alte Priester hier« – mit dem Daumen deutete er auf die Statue – »war für meine – äh – moralische Erziehung zuständig.«
»Ich hab mein Bestes getan, um dir den Unterschied zwischen Richtig und Falsch beizubringen«, sagte Petris würdevoll.
»Und bei ›falsch‹, dachtest du, gehst du mir am besten mit schlechtem Beispiel voran.«
Die Statue schnaubte empört, und Beth konnte sehen, wie kleine Spuckeflecken den Stein um seinen Mund benetzten. »Das ist nicht fair, Filius.«
»Nein? Dieser Schrottschnaps hätte mich fast gekillt.«
»Der hat dich ’n ganzes verdammtes Stück mehr interessiert als die Gaslampen-Theodizee des neunzehnten Jahrhunderts«, erwiderte der Steinmönch verächtlich. »Ich hab einfach getan, was jeder gute Lehrer getan hätte, und die Lektion mit dem verknüpft, was du bereits wusstest.« Sein Ton wurde verschwörerisch. »Willst du mir wahrhaftig erzählen, du hättest kein religiöses Erlebnis gehabt mit dieser magnetischen Massage, die ich dir beigebracht habe? Wenn nicht du, dann doch wohl zumindest deine elektrische Freundin.«
Fil lachte, wurde zugleich allerdings ein bisschen rot. »Gib’s zu, du warst ein furchtbar schlechter Einfluss.«
»Mag sein, aber dafür ein erstklassiger Beichtvater. Du hast nie mit irgendwas hinterm Berg gehalten.«
»Wär ja auch zwecklos gewesen! Du warst doch immer dabei, wenn ich gesündigt habe!«
»Ich lehre die Regeln bloß, Filius; ich hab nie behauptet, gut darin zu sein, sie zu befolgen.« Ein Husten drang aus dem reglosen Mund der Statue, pulvrige graue Staubwölkchen tanzten vor ihren Lippen.
Fil zuckte zusammen, sagte aber nichts.
»Wie auch immer«, sagte Petris, als der Hustenanfall sich gelegt hatte, »nicht dass es nicht toll wäre, dich kleinen Nervtöter wiederzusehen, aber wieso in Thems’ Namen tauchst du ausgerechnet jetzt hier auf? Ich hab seit Monaten nichts von dir gehört.«
Hinter seinem Rücken hatte Fil beide Hände am Heft seiner Eisenstange. Die schmutzigen Daumen rieben jetzt übereinander. »Ich … « Er blickte über die Schulter hinüber zu Beth. » Wir brauchen deine Hilfe.«
Petris’ Gelächter perlte davon. Die Bewegungen waren viel zu klein, um sie zu sehen, doch Beth war sich sicher zu spüren, wie sämtliche Statuen auf der Lichtung eine Winzigkeit näher rückten.
»Wirklich?« Petris’ Ton war sanft. »Na, sag schon. Was kann ein bescheidener Bordsteinpriester denn tun für den Sohn der Straßen?«
Fil blickte der Statue geradewegs in die mit Vogelkacke verklebten Augen. »Ein weiteres Mal für seine Mutter kämpfen.«
Alles auf der Lichtung gefror. Die Statuen wirkten plötzlich nicht mehr bloß still – still waren sie die ganze Zeit über gewesen – , sondern jeder menschenförmige Steinbrocken schien jetzt eine spürbare Kälte zu verströmen.
»Nun, das nenn ich mal eine Bitte«, sagte Petris langsam. Er klang sehr gefasst. »Filius, du weißt, ich müsste ein Herz aus Stein haben, um dir irgendwas abzuschlagen, aber – «
Beth prustete los.
Fil sah sie scharf an, und sie fühlte, wie Petris dasselbe tat.
»’tschuldigung«, sagte sie. »Achtet gar nicht auf mich.«
»Ja?«, fragte die Statue.
»Oh«, druckste Beth, »nichts, das war bloß irgendwie lustig. ›Herz aus Stein.‹ Wo Sie doch ’ne … «
Unruhe flackerte über Fils Gesicht, und er schüttelte barsch den Kopf. Beth unterbrach sich, nervös wegen der jähen, lastenden Stille.
»Ja?«, fragte Petris wieder. Eine kaum merkliche Schärfe lag in seiner Stimme.
»Nichts.«
Ein weiterer schiefertrockener Seufzer.
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