Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
. Um ihn herum hatte jemand winzige Züge gezeichnet, eine Spur wie aus schwarzen Brotkrumen, die am unteren Rand der Hauswand entlangführte.
Sie folgten ihr um die Ecke in eine düstere Gasse und blickten gebannt auf das, was dort auf die Brandmauer gemalt worden war.
»Was soll denn das hei–?«, begann er. » Gebrochener Akkord? Ich hab keine … «
»Ich schon«, sagte Pen. Sie ballte ihre steifen, wunden Hände zu Fäusten und öffnete sie langsam wieder. »Ich weiß, was das heißt, Mr Bradley. Ich bin dort gewesen.« Sie hielt inne, dann hörte sie sich sagen: »Ich zeig’s Ihnen.«
»Wer ist das?« Er deutete auf die Skizze eines hageren Jungen, der sich in lässiger Geste mit einem Speer die Fingernägel säuberte.
Pen schüttelte den Kopf. »Hab noch nie wen gesehen, der so aussieht«, gab sie zu. »Aber ich kann Ihnen sagen, wenn Beth nach ihm sucht, wird sie ihn finden.«
Sie griff in ihre Tasche, zog ihr Handy heraus und machte ein Foto von der Zeichnung des Jungen. »Und das bedeutet, dass wir ihn ebenfalls finden müssen.«
Sie wollte die Gasse schon wieder verlassen, als sie ihr eigenes Gesicht entdeckte, mit raschem Strich auf die Ziegel geworfen, und alle Wut, die sie gegenüber ihrer besten Freundin empfunden hatte, verwandelte sich in etwas anderes, etwas nicht weniger Stechendes, etwas, das ihr im Hals stecken blieb.
»Donnerwetter, bist du das?«, murmelte Mr Bradley. »Aber sicher – na klar, das bist du . Das hat sie einfach so aus dem Gedächtnis gezeichnet? Himmel, es sieht haargenau aus wie du. Ich meine … « Der Stolz in seiner Stimme war unverkennbar. Pen fragte sich, ob Beth ihn wohl jemals gehört hatte.
»Ja, Mr Bradley«, sagte sie, auch wenn das Atmen ihr schwerfiel. »Sie ist echt gut.«
Kapitel 13
Es war Morgen: Die Strahlen der Tagsleuchte, die sich in den Glaskolben ergossen, zerfielen in Spektren, vom Glas gebrochen. Voltaia regte sich, das Glühen in ihrem Blut blass durch das Übermaß an Licht. Tag. Die Helligkeit brannte ihr in den Augen. Wieso bin ich wach? Die Welt war ein konturloses Gleißen. Zu früh. Sie schüttelte sich und bettete den Kopf wieder auf ihre Arme, spürte, wie ihr Bewusstsein verebbte.
Der Laternenpfahl bebte, sodass sie die Augen wieder aufriss. Es war zu hell; sie konnte nicht das Geringste sehen, aber sie konnte spüren , wie die Vibration durch das Metall wanderte. Die Leuchtadern in ihrem Leib erzitterten. Sie fing an zu zucken und sich zu bewegen, sich gerade genug zu rühren, um etwas Magnetismus aufzubauen, bis sie ihre Finger ausstrecken und das Feld durch das Glas schieben konnte zu einem kurzen Betasten der Luft.
Panisch schreckte Voltaia zurück; etwas kroch ihren Pfahl herauf. Ihr Herz fing an zu trippeln, schneller, immer schneller, bis es so rasend schlug, dass sie selbst noch gegen das Licht der Tagsleuchte das gelbe Glimmen zu sehen vermochte, das sich im Glaskolben spiegelte.
Lek! , blitzte sie, doch ihre ältere Schwester war aus lauter Empörung über das Benehmen des Straßenburschen davongelaufen und bis jetzt nicht wiederkommen.
Galv! Faradi!
Es war zu hell, sie war blind. Die Tagsleuchte wirkte wie tausend wütende Whiteys, die auf das Glas einschlugen. Abermals ging ein Ruck durch den Pfahl, als schüttelte ihn eine Art Anfall, und Voltaia flackerte einen weiteren Notruf hinaus. Sinnlos , verfluchte sie sich selbst; ihre Schwestern waren sicher ebenso blind. Sie spürte die Zuckungen dieses Etwas, was auch immer es war, das sich am Laternenpfahl zu ihr hinaufzog. Sie schrumpfte in den Hintergrund ihres Schutzraums; Drähte stachen ihr in die Haut.
Eine schwarze Gestalt schlug hart gegen das Glas: ein langer, schmaler Schatten, gespickt mit Dornen. Der ganze Kolben erzitterte. Das Ding zog sich zurück, grauenhaft langsam, verschwand in dem Nebel aus Licht, als würde Tinte aus Wasser gesaugt …
– und schlug wieder zu …
Voltaia taumelte rückwärts. Das schmale dornengespickte Etwas war hinter dem von Rissen durchzogenen Glas jetzt kaum mehr zu erahnen, und sie wappnete sich, hielt den Atem an, obwohl ihre Lungen brannten.
Das Ding hieb abermals zu, und die Lampe zerbarst.
Voltaia sprang aus ihrem Zuhause, fiel einen Augenblick lang, umgeben von einem glitzernden Regen aus Glas. Beton nahm ihr den Atem. Sie rappelte sich auf die Füße, schüttelte den Aufprall ab und blickte sich um. Nichts als undeutliche dunkle Linien, überflutet von gleißendem Sonnenlicht; alles sah aus wie ein Monster, das
Weitere Kostenlose Bücher