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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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nachdem ich gesehen hab, was bei dir so auf Funkmasten und Laternen rumkreucht, kann ich’s echt kaum erwarten zu sehen, was du auf ’nem Friedhof so alles aus dem Hut zauberst. Aber wenn’s bloß Gespenster und Zombies sind, werd ich bitter enttäuscht sein, Fil.«
    Sie war immer noch wütend wegen der Spinnen, und ihr taten allmählich die Füße weh. Vom Crystal Palace aus hatten sie die lange Strecke nach Stoke Newington genommen, um die Kräne zu umgehen, die an der Hauptstraße in Dalston aufragten. Fil wollte um keinen Preis in ihre Nähe kommen. Beth hatte sie zuvor nie bemerkt und fragte sich beiläufig, seit wann sie dort standen. Sie sprossen wie unheilvolle winterliche Bäume über die Skyline.
    Beth hatte Fil noch immer nicht essen sehen. Mittlerweile fing sie tatsächlich an zu glauben, dass er’s einfach nicht tat. Unterwegs war sie kurz in einen Laden mit einem sich drehenden Schild geschlüpft und hatte sich was zu essen von einem sich drehenden Spieß bestellt – und jetzt wappnete sie sich kleinlaut für einen sich drehenden Magen. Sie hatte angeboten, ihm einen Kebab mitzubringen, aber er hatte höflich abgelehnt. Letzte Nacht, unter dem Turm, war seine Haut mit öligem Schweiß bedeckt gewesen, doch barfuß über den Asphalt zu gehen schien ihn wieder zu beleben, so als wäre die abgasgeschwängerte Luft eine Art Nahrung für ihn. Mit einem Mal fiel Beth auf, dass das Grau seiner Haut kein Schmutz war, sondern zu ihm gehörte – und dass die Farbe umso dunkler wurde, je stärker er war. Er ernährt sich von der Stadt , schoss es ihr durch den Kopf, wie eine Pflanze, die sich von der Sonne ernährt . Sie suchte nach einem Begriff und kam auf Urbosynthese .
    Das Unterholz wich einer Lichtung voller Grabsteine, bewacht von lebensgroßen Statuen. Mönche aus Granit standen Seite an Seite mit Gelehrten in steinernen Togen. Die Jungfrau Maria beugte sich über ihr Baby. Zwei Marmorengel legten ihre Flügel umeinander und küssten sich, und die Statue einer Frau mit verbundenen Augen hielt ein Schwert über ein Grab mit der Inschrift: John Archibald, Richter. Gehängt 1860 .
    Es gab beinahe ebenso viele Statuen wie Grabsteine, angeordnet in einem holprigen Kreis. Ein Mönch aus Stein stand in der Mitte, die Augen beschattet von der Kapuze seiner schweren Granitkutte. Er streckte einen Finger in die Luft, und seine Lippen waren leicht geöffnet, so als hätte der Bildhauer den Moment eingefangen, als er einen Witz erzählte – und zwar einen dreckigen, dem lüstern verzogenen Mund nach zu urteilen.
    »Na schön.« Fil stieß einen resignierten Seufzer aus. »Hier ist es.«
    »Was ist hier ?«, fragte Beth. »Mal abgesehen vom Set für ’nen schlechten Vampirfilm.«
    »Der Garten des Tempels meiner Mutter.« Ein gequältes Lächeln zuckte über seine Lippen. »Sag Hallo, Beth.«
    »Zu wem?«
    »Zu deinen Gespenstern.«
    »Was willst du andeuten, Filius – dass du uns für tot hältst? Das trifft mich dann doch.«
    Beth schreckte auf. Die Stimme klang, nun ja, felsig – und sie war aus dem Steinmönch gekommen.
    Fil biss sich schuldbewusst auf die Lippe und sagte: »Petris – hab dich gar nicht erkannt.« Er musterte die Statue. »Hast du abgenommen?«
    »So ist es.« Die Worte drangen staubtrocken aus dem Stein. Die Lippen des Mönchs bewegten sich nicht. »Am Gesicht. Diese kleinen Vandalen.«
    »Oh, ’ne Meißelarbeit? Ich – ich find’s gut, sehr elegant. Du siehst damit so … « Er brach ab, wirkte verlegen.
    »Ja?«
    »Ähm … «
    Der Seufzer der Statue klang wie rollender Schiefer. »Nun, Taktgefühl gehört zweifellos nicht zu den Lektionen, die ich dir, mit durchaus herkulischer Anstrengung, erfolgreich in deinen Schädel gehämmert habe. Wer ist die junge Dame?«
    Die Statue hatte sich nicht gerührt. Ihre steinernen, von dichtem Moos bedeckten Augen zuckten nicht einmal. Doch plötzlich konnte Beth spüren , wie sie sie ansah.
    »Hast du das feurige Temperament deiner kleinen Laternengespielin schon satt, Filius?«, fuhr die Statue fort. »Oder kostet unser junger Prinz jetzt auch die Freuden des helllichten Tages?« Sein Ton triefte vor Anzüglichkeit.
    »Sie ist nur eine Freundin, Petris«, sagte Fil, »und es ist mir ’n echtes Rätsel, wie ich kein Taktgefühl habe lernen können von jemandem, der sich wie du dermaßen gut damit auskennt, überall seine Nase reinzustecken.«
    »Ach je, wär mir doch bloß ’ne unversehrte Nase geblieben, die ich überall reinstecken

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