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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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sich nach ihr reckte. Sie floh nach links, Richtung Galvanikas Laterne, streifte forschend durch ihre Felder, konnte ihre Schwester jedoch nicht spüren. Sie konnte sie nicht spüren.
    Beruhige dich , sagte sie sich, beruhige dich . Ihr Herz schlug so schnell, dass sie Angst hatte, es könnte in Rauch aufgehen.
    Galv! Faradi! Sie wusste, die beiden würden ihre Schreie in all dem Licht nicht sehen, aber sie konnte nicht aufhören, nach ihnen zu rufen. Sie streckte sich nach dem Raum, wo Galvanikas Pfahl hätte sein sollen, doch ihre Fingerspitzen griffen ins Leere. Plötzlich stolperte sie und stürzte auf etwas Metallisches. Mit zittrigen Händen tastete sie sich daran entlang. Es war verdreht, übersät mit Dutzenden pockennarbiger kleiner Löcher.
    Eine Wolke schob sich vor die Tagsleuchte, und mit einem Mal konnte Voltaia sehen : Sie hielt Galvanikas Pfahl umklammert. Er war aus der Verankerung gerissen worden, es stand bloß noch ein Stumpf. Die Bruchstelle war gezackt, scharfkantig. Ein gläsernes Mädchen lag leblos da, halb aus der geborstenen Lampe ragend, sein Licht erloschen. Nase und Kniescheiben waren zerschmettert, die Haut mit winzigen Rissen überreift.
    Voltaia taumelte auf ihre Schwester zu und nahm dabei kaum Notiz von dem Schmerz, als Glasscherben und Metallsplitter ihr in die Füße schnitten. Ihr pulvriges Blut rieselte auf den Boden.
    Galv –
    Als Voltaia sie erreichte, begann das Haar ihrer Schwester sich in der magnetischen Brise zu wiegen, die sie mit sich trug. Es war ein schäbiger, billiger Abklatsch von Leben.
    Sie spürte, wie das Metall des Wesens in ihrem Rücken über ihr Magnetfeld strich, und sie wirbelte herum. Seine Stränge peitschten heran, löschten das Licht.

Kapitel 14
    Ich will dir helfen – ich will dir helfen, mehr zu tun, als bloß wegzulaufen.
    Ihre Worte verstopfen wie Flussschlamm meine Ohren. Ich blicke wieder auf ihren Arm, auf das Mal, das ich ihr hineingeschnitten habe. Der Schmutz der Stadt ist bereits eingedrungen; es wird eine Narbe werden – das Ganze hatte ihr Angst machen sollen, doch obwohl sie mit fantasievollen Flüchen über meine Ungeschicklichkeit schimpfte, als ich die Wunde mit Desinfektionsmittel abtupfte und mit dem Splitter einer Eisenbahnschwelle nähte, hält sie sich alles in allem überaus tapfer.
    Wir schlängeln uns durch die Menschenmassen auf der Church Street. Ich bin demonstrativ unsichtbar: Die Menschen geben sich alle Mühe, mich zu übersehen, vermutlich weil ich so sehr den Gestalten ähnele, die mit ihren Schlafsäcken in Hauseingängen kauern und die sie ebenso sorgfältig übersehen.
    Willst du so dem Vermächtnis deiner Mutter gerecht werden? Durchs Weglaufen?
    Mal ehrlich, was für eine idiotische Frage. Ich kann dem Vermächtnis meiner Mutter genauso wenig gerecht werden, wie ich mir ihren Autobahnring über den Finger streifen, ihrer Grausamkeit gleichkommen oder mit meinem knochigen Arsch ihren Docklandsthron ausfüllen kann. Ich würde zur Lachnummer werden, noch ehe ich sterbe.
    Bloß dass es jetzt zwei von uns Lachnummern gibt: mich und meine idiotische, mutige, mit Narben übersäte Gewissensfee. Und so stehen die Chancen gegen uns nur noch halb so schlecht. Hier sind wir also, treten durchs Tor eines Friedhofs in Stoke Newington: ein sich selbst überlassener, verwilderter Friedhof, der letzte Versammlungsort für die verdammte Priesterschaft meiner Mutter.
    Es war Beths Idee. »Du bist doch der Sohn einer Göttin, richtig?«, fragte sie. »Hat deine Mum denn nicht irgendwo ’n paar Pfarrer, die uns helfen könnten?« Es klang so einfach, so logisch.
    Ich werde sehr schnell sprechen müssen und ich werde mich anstrengen, zuversichtlich zu klingen, aber der Kerl, den ich überzeugen muss, geht quasi mit dampfenden Haufen Bullshit hausieren, sodass er welchen erkennt, wenn er welchen hört. Wir stürzen uns tief ins Farndickicht, dessen sich gerade verfärbende Blätter das Licht golden filtern. Meine Zunge liegt mir im Mund wie eine Nacktschnecke aus Blei. Ich versuche verzweifelt herauszufinden, was genau ich da eigentlich gleich sagen werde.
    »Ein Friedhof«, sagte Beth knapp, als Fil das Tor hinter ihnen schloss. Alles hier war von Gestrüpp überwuchert, sodass der Gitterzaun eher nach einer Hecke aussah. »Ernsthaft? Ein Friedhof?«
    »Na und?«, erwiderte er und bahnte sich Kopf voran einen Weg durch die Blätter. Das Brummen des Verkehrs auf der Hauptstraße klang jetzt gedämpft.
    »Oh, nichts und –

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