Der wunderbare Massenselbstmord
klangen ziemlich trostlos. Der Oberst schlug ihm vor, nicht mehr zu trinken, sondern sich lieber ins Zelt zu legen und sich auszuruhen. Der Kapitän zu Lande versuchte sich zu sammenzureißen, er starrte den Oberst mit glasigen Augen an und wankte dann in Richtung Zelt davon.
Die Schwalben zwitscherten, eine Katze lief träge über den Rasen vor dem Alpenhotel. Nach der Abfahrt vom Furkapass war das Wetter aufgeklart. Die Luft war sommerlich frisch. Oberst Kemppainen gestand Helena Puusaari, dass er persönlich keine Lust habe, am kom menden Tag in Korpelas Bus in eine Schlucht zu stür zen. Er fasste sie bei der Hand, kniete am Hang vor ihr nieder und räusperte sich. Er hatte die Absicht, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Gerade in diesem Mo ment läutete es sechsmal von Münsters katholischer Kirche. Der Oberst kam aus dem Konzept. Er stand verlegen auf und sagte, dass er das Lager inspizieren wolle. Helena Puusaari seufzte ungehalten hinter ihm her.
Am Abend wurden im Lager die letzten blutigen Bir kenscheite verbrannt. Man war der Meinung, dass man sie nicht mehr brauchte. Sie brannten auch wirklich gut. Das getrocknete Blut der deutschen Hooligans zischte schaurig anheimelnd im Lagerfeuer der Anony men Sterblichen. Die Stimmung war auch sonst recht eigenartig. Uula holte die letzten gesalzenen Inari-Maränen aus den Tiefen des Fasses und verteilte sie an die Gruppe. Dazu aßen sie Schweizer Gerstenbrot. Je mand sagte, dass das Ganze wie das heilige Abendmahl sei, nur dass nicht Jesus von Nazareth, sondern Ren tiermann Uula Lismanki das Brot verteile, und dass die Rolle der Jünger von den Anonymen Sterblichen über nommen werde.
Die Frauen begannen leise zu singen. Die Männer stimmten ein, man summte melancholische südöster bottnische Volkslieder. Auch der Oberst merkte, dass er sie noch konnte. »Es bog sich der Wipfel der Birke im Wind…«
Um die Zeit des Sonnenuntergangs erschienen im La ger fünf stämmige Schweizer, die verkündeten, dass sie Vertreter das Kantons Wallis seien. Sie blickten ernst drein und schienen ein wichtiges Anliegen zu haben. Der Oberst lud sie ein, am Lagerfeuer Platz zu nehmen und das einfache Abendessen mit den Finnen zu teilen, er bot den Gästen Maränen, Brot und Wein an.
Die beschlussfassenden Organe des Kantons hatten gegen Abend eine Dringlichkeitssitzung abgehalten und die Abordnung ermächtigt, den Finnen ihre Entschei dung mitzuteilen. Die Sache war schlicht und einfach die, dass die Einwohner des Kantons Wallis die Absicht der finnischen Reisegruppe, auf ihrem Gebiet Massen selbstmord zu begehen, nicht akzeptieren konnten. Nach Meinung der Abordnung war Selbstmord sowieso eine Sache des Teufels, ganz zu schweigen von Massen selbstmord. Gott hatte die Menschen nicht dazu ge schaffen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Im Gegenteil. Gottes Absicht war, dass die Menschen sich vermehrten und die Erde bevölkerten und nicht, dass sie sich nach Gutdünken und durch eigene Hand aus diesem Leben entfernten. Außerdem verbot das Schwei zer Gesetz Massenselbstmorde.
Oberst Kemppainen dankte den Männern des Kan-tons für die Fürsorge und erklärte, dass Finnen keine Ratschläge von Unbekannten entgegenzunehmen pfleg ten, besonders nicht in einer so wichtigen Angelegen heit. Er wollte wissen, wie sie von den Absichten seiner Gruppe erfahren hatten. Die Kantonsvertreter erzählten, dass sie von einem Mitglied der finnischen Reisegesell schaft zuverlässige Informationen über den bevorste henden Massenselbstmord erhalten hatten und dass dieses Mitglied außerdem damit geprahlt hatte, vergan gene Nacht in Zürich seine eigene Seele im Glücksspiel an den Teufel verspielt zu haben. Dies alles war das Schlimmste, was sie je in ihrem Leben gehört hatten. Sie verboten der Gruppe streng, in Münster weitere Verwir rung zu stiften, und forderten, dass sie sich spätestens am folgenden Morgen vom Gebiet des Kantons entfernte.
Der Oberst ärgerte sich. Unerhört, durfte sich ein Finne auf Reisen durch fremde Länder nicht einmal selbst umbringen, ohne dass sich Außenstehende ein mischten? Er dankte der Abordnung für die Warnung, versprach aber nicht, den Appell des Kantons zu befol gen. Er behauptete, die Finnen seien ein eigensinniges Volk, das stets ausführe, was es in Angriff genommen habe. Es sei nicht möglich, die sturen Finnen zu beein flussen. Finnland sei ein souveräner Staat, und seine Bürger hatten das
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