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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Anonymen Sterblichen wieder in den Bus und bat den Oberst, den Soldaten zu übersetzen, dass er noch ein paar Kilometer weiterfahren wolle. Die Soldaten erklärten ihn für verrückt. Er gab zu, dass sie Recht hatten, merkte aber an, dass er nicht der Einzige sei. Die ganze finnische Gruppe sei total verrückt. Das glaubten die Soldaten gern. Als alle wieder im Bus sa­ ßen, bat der pensionierte Ingenieur Hautala ums Wort. Er erklärte, dass er an unheilbarem Krebs leide, die Metastasen hatten sich bereits im ganzen Körper ausge­ breitet. Deshalb habe er zu Beginn des Sommers be­ schlossen, sich der Gruppe der Anonymen Sterblichen anzuschließen. Jetzt sei er jedoch anderen Sinnes ge­ worden. Er habe sich in die schönen Schweizer Alpen­ dörfer verliebt. Während der gemeinsamen Tour habe er sich mit einer jungen Frau aus Espoo, Tarja Halttunen, angefreundet, die ebenfalls unheilbar krank sei. Er wolle der Gruppe nicht im Bus in den Tod folgen, sondern die letzten Tage seines Lebens in irgendeinem kleinen Gast­ haus im Schoße der Alpen verbringen und auf die schneebedeckten Bergspitzen schauen.
    Die übrigen Gruppenmitglieder blickten Tarja bestürzt an, ein Mädchen, das während der ganzen Reise still und in sich gekehrt gewesen war und mit niemandem ein Wort gesprochen hatte. Jetzt bekannte sie errötend, dass sie an Aids erkrankt und dass die Krankheit so weit fortgeschritten sei, dass es ihr nichts ausmache, Hautala Gesellschaft zu leisten und mit ihm in einem Gasthaus auf den Tod zu warten. Sie könnten sich beide gegenseitig pflegen.
    Die überraschende Enthüllung über die gefährliche, tödliche Krankheit stiftete Verwirrung in der Gruppe. Einige Mitglieder schimpften Tarja aus, weil sie die anderen nicht vor einer Ansteckung gewarnt hatte. Es konnte doch sein, dass sie die Krankheit auf andere übertragen hatte. Man war immerhin zusammen gereist und hatte, wer weiß, wie viele Male, im selben Zelt ge­ schlafen. Es war verantwortungslos von ihr gewesen, die Krankheit zu verheimlichen. Helena Puusaari erhob jetzt ihre Stimme und bemerkte, dass es wohl keine Rolle spielte, ob sich die Selbstmörder eine HIV-Infektion zugezogen hatten, sie würden ja ohnehin sterben.
    Die Ausreißerinnen vom Elsass verkündeten, dass sie jedenfalls nicht sterben wollten, sie wollten die anderen nur bis an den Rand der Schlucht begleiten und dann nach Finnland zurückkehren. Sollten sie sich jedoch bei
    Tarja angesteckt haben…
    Oberst Kemppainen sagte barsch, dass sie sich durch ihr Verhalten im Elsass viel eher der Gefahr einer Infek­ tion ausgesetzt hatten als durch die gemeinsame Reise mit Tarja, sodass sie gefälligst still sein sollten. Es gebe keinen Grund für eine Panik.
    Uula Lismanki erinnerte daran, dass auch er nicht die Absicht habe, der Gruppe in den Tod zu folgen. Und überraschend erklärten auch mehrere andere, dass sie nicht mehr sterben wollten. Korpela wurde aufgefordert, die Überlebenswilligen ins nächste Dorf zu fahren, denn auf diesem gottverlassenen Furkapass gab es keine Möglichkeit zu übernachten.
    Sie studierten die Karte. Tausend Meter tiefer und knapp zwanzig Kilometer weiter südlich lag das Dorf Münster. Korpela fuhr wütend hinunter, in schwindeler­ regendem Tempo. Das Fahrzeug schlitterte auf den eisigen Serpentinen, die Reisenden schrien vor Entset­ zen. Sie baten Korpela, vorsichtiger zu fahren, aber er kümmerte sich nicht darum und rief durchs Mikrofon:
    »Zum Sterben sind wir ja hergekommen!« Es war eine wilde Abfahrt, der Bus war zum Schlitten
    umfunktioniert. In den engsten Kurven beschrieb die Nase des Fahrzeugs einen Bogen über dem Abgrund, die tausend Meter tiefen Schluchten warteten mit aufgeris­ senem Schlund auf die Beute.
    Um die Stimmung aufzulockern, wollte Seppo Sorjo­ nen seinen Reisegefährten etwas Lustiges erzählen, aber sie waren an einer fröhlichen und erbaulichen Geschich­ te nicht interessiert. Ihr Lebenswille war ohnehin er­ wacht. Sorjonens Galle kochte, seine Ehre als Geschich­ tenerzähler war in kritischer Situation verletzt worden. Er zwang den anderen durchs Mikrofon eine traurige und schlüpfrige Geschichte auf. Sie war kurz, aber bei Korpelas atemberaubendem Tempo hätte nicht mal Sorjonen eine lange Geschichte zustande gebracht.
    Sorjonen erzählte von einem reizenden kleinen Mäd­ chen in Deutschland, das im Alter von zehn Jahren entführt wurde. Die Entführer erzogen sie in einer ein­ samen Berghütte, bis sie fünfzehn war,

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