Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns: Roman (German Edition)
auf, als es ihr aus den schlaffen Fingern fiel. Ihre Augen rollten nach oben, und sie begann, auf dem Stuhl leicht zu schwanken. Dann fing sie an, mit einer Stimme zu reden, die sich auf merkwürdige Weise anders als ihre eigene anhörte, als befände sie sich weit entfernt und spräche durch ein Rohr zu ihm.
»Ich werde sprechen. Ich werde sprechen! Es ist alles falsch. Niemand ist so, wie er sein sollte. Nichts ist so, wie es beabsichtigt war. Der Sturm wird früh losbrechen, und Sie werden das Ende eines großen Zyklus und die grauenhaften Geburtswehen eines anderen bezeugen – die Vergangenheit und die Zukunft in einem entsetzlichen Konflikt miteinander.«
Kälte erfasste Burton.
»Nehmen Sie sich in Acht, Captain, denn ein Finger des Sturms streckt sich nach Ihnen aus. Es gibt Schichten über Schichten, eine Täuschung verhüllt die andere – und die ist wiederum nur ein Schleier über einer weiteren. Glauben Sie nicht, was Sie sehen.Die Kleinen sind nicht, was sie zu sein scheinen. Die Puppenspielerin ist selbst eine Marionette, und der Hexenmeister ist noch nicht geboren. Die Toten werden sich für lebendig halten.«
Ihr Kopf fiel zurück, und ein grässlich gequältes Stöhnen kroch ihre Kehle hoch.
»Nein«, flüsterte sie. »Nein. Nein. Nein! Ich kann das Lied hören, aber es sollte nicht gesungen werden! Es sollte nicht gesungen werden! Der Stelzenmann hat die Stille des Weltalters durchbrochen, und der Hexenmeister hört es, und die Puppenspielerin hört es, und die Toten hören es; und – o Gott, hilf mir …« Ihre Stimme schwoll plötzlich zu einem Schrei an. »Ich höre es auch! Ich höre es auch!«
Sie schlug sich die Hände über die Ohren, wölbte den Rücken zu einem Buckel, warf sich auf dem Sitz hin und her und sackte dann, nur einen Augenblick später, ohnmächtig zusammen.
»Mein Gott!«, stieß Burton hervor. Er packte sie an den Schultern und richtete sie auf, tauchte sein Taschentuch in das Wasserglas und legte es ihr zusammengefaltet auf die Stirn. Gleich darauf eilte er zu einer Schublade und holte eine Flasche mit Riechsalz. Nachdem er es ihr lange genug unter die Nase gehalten hatte, blinzelte sie und hustete.
Er schenkte ihr einen kleinen Brandy ein. »Hier, trinken Sie das.«
Sie stürzte den Alkohol hinunter, prustete, atmete schwer durch und beruhigte sich langsam.
»Verzeihung. Bin ich in Trance verfallen?«
»Ja.«
»Ich habe vermutet, dass etwas in der Art geschehen könnte, obwohl ich gehofft hatte, ich würde mehr Kontrolle darüber haben. Seit zwei Wochen verspüre ich den Drang, Sie zu sehen, Ihnen eine Nachricht zu übermitteln, aber ich wusste nicht, worin sie bestand, deshalb bin ich nicht hergekommen. Bis heute.«
Burton wiederholte, was sie zu ihm während ihres Anfalls gesagt hatte.
»Wissen Sie, was das bedeutet?«, fragte er.
»Das weiß ich nie. Wenn ich in Trance bin, ist mir nicht bewusst, was ich sage, und danach ergibt es selten einen Sinn für mich.«
Burton musterte sie nachdenklich. »Ist noch etwas, Komtesse? Obwohl Sie mir die Nachricht nunmehr überbracht haben, scheinen Sie sich unbehaglich zu fühlen.«
Unvermittelt stand die Wahrsagerin auf und begann, händeringend auf- und abzulaufen.
»Es … es … es ist nur so … Ich kann nicht darauf vertrauen, dass die Nachricht zutreffend ist, Captain.«
»Warum sagen Sie das?«
»Weil … Ich weiß, es klingt seltsam, aber das – was ich tue, meine Fähigkeit, nicht nur Blicke in die Zukunft, sondern in Zukünfte , die Mehrzahl, zu werfen – dürfte gar nicht möglich sein!«
»Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen. Sie genießen den Ruf, genaue Aussagen zu treffen, und ich konnte mich selbst davon überzeugen. Schlicht gesagt, es ist nicht nur möglich, sondern eine Tatsache.«
»Ja, und das ist das Problem! Wahrsagen, Handlesen, Spiritismus – von solchen Dingen wird in der anderen Geschichte gesprochen, aber hier funktionieren sie nicht , und diejenigen, die behaupten, solche Kräfte zu besitzen, werden nur als Scharlatane und Schwindler betrachtet.«
Burton erhob sich, ergriff seine Besucherin an den Oberarmen und drehte sie zu sich herum.
»Komtesse, Sie und ich sind mit einer Tatsache vertraut, die nur sehr wenigen Menschen bekannt ist, nämlich dass der natürliche Verlauf der Zeit gestört wurde. Die Geschichte, in der wir jetzt leben, unterscheidet sich von dem, was sonst gewesen wäre. Menschen werden Gelegenheiten und Herausforderungen
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