Der Wunsch des Re
hatten bereits jegliche Hoffnung begraben, dass ich jemals heiraten und eigene Kinder haben würde.«
Wer weiß, dachte Meritusir, wie viele der kleinen Mädchen und Buben, die die Unterkünfte der Dienerschaft in Theben und Abydos bevölkern, deinem Samen entsprungen sind. Doch diesen Gedanken behielt sie für sich.
»Aber auch ich habe eine Nachricht für dich, die dich sehr erfreuen wird«, plauderte Amunhotep derweil weiter. »Willst du sie hören?«
Erwartungsvoll blickte Meritusir ihm ins Gesicht und nickte.
»Du darfst dich fortan mit den Schriften befassen, die dich dem Wissen und der Weisheit der Priesterschaft des Schwarzen Landes immer näher bringen werden und wirst somit Schritt für Schritt in ihre Geheimnisse eingeweiht.«
Jetzt war es an Meritusir, verblüfft die Augen aufzureißen. »Ehrlich?«, fragte sie.
»Ja. Ramses und ich sind der Meinung, dass die Zeit gekommen ist und du reif dafür bist, liebe Schwester.«
Liebe Schwester!
, dachte Meritusir und rümpfte kaum merklich die Nase. Sie mochte es nicht, wenn Amunhotep sie so anredete, obwohl sie wusste, dass es bei Verliebten und Verheirateten gang und gäbe war. In ihrer Zeit hatte es dazu geführt, dass frühe Forscher davon ausgegangen waren, dass im alten Ägypten in allen Gesellschaftsschichten Inzest betrieben worden sei.
»Das freut mich«, erwiderte sie. »Ich habe immer davon geträumt, all die geheimen Schriften lesen zu dürfen, die in der Bibliothek gehütet werden.«
»Du musst dich aber ab jetzt ein wenig schonen«, meinte Amunhotep. »Immerhin trägst du unser Kind unter dem Herzen.«
»Ich bin schwanger«, erinnerte sie ihn und schmunzelte, »nicht krank.«
»Dennoch werde ich darauf bestehen, dass du nicht mehr so viel arbeitest. Ich stelle dir fortan Maiherperi als deinen persönlichen Leibwächter zur Seite. Darüber werde ich nicht mit dir diskutieren«, fügte er hinzu, da Meritusir bereits den Mund geöffnet hatte und protestieren wollte. »Ich vertraue Maiherperi voll und ganz. Er steht schon seit Jahren in meinen Diensten. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn dir etwas zustoßen würde.«
Ergeben neigte sie den Kopf. »Wie du wünschst, mein geliebter Gemahl.« Sie wusste, dass es sinnlos war, mit Amunhotep über bestimmte Dinge zu streiten.
Dennoch setzte sie ihren Kopf durch und begab sich auch in der Folgezeit trotz ihrer fortschreitenden Schwangerschaft jeden Tag auf die Baustelle und nahm dadurch Netnebu seine Arbeit ab, wofür dieser ihr wahrlich dankbar war. Er hatte als Heri-tep und Oberster Arzt des Lebenshauses schon genug andere Aufgaben zu erledigen.
In ihren freien Stunden saß sie bis nachts in der Bibliothek und studierte die heiligen Schriften der Götter und der Weisen. Meritusir war so fasziniert von dem, was sie las, dass Amunhotep sie eines Morgens vorwurfsvoll fragte, warum sie eigentlich als Bedingung für ihre Heirat ein gemeinsames Schlafgemach verlangt habe. Stets käme sie immer erst, wenn er schon tief und fest schliefe.
Sie entschuldigte sich dafür. »Es ist so interessant und fesselnd. Ich kann mich einfach nicht losreißen und vergesse die Zeit, wenn ich mich in der Bibliothek befinde«, erklärte sie ihm.
Amunhotep musste lächeln, denn er kannte das und konnte ihr deshalb nicht mehr böse sein.
Und so wurde Meritusir langsam und ganz allmählich in das geheime Wissen der Priester des Landes Kemi eingeführt, und sie begann alles, was sie bisher gedacht hatte zu wissen, neu zu verstehen.
Irgendwann gab Amunhotep ihr Schriftrollen zum Lesen, die er aus dem geheimsten Teil der Bibliothek geholt hatte, und so erfuhr sie endlich, warum es so wichtig für Ramses war, dass sein Haus für die Ewigkeit weder geplündert noch entdeckt werden durfte.
Meritusir wusste aus den Büchern ihrer Zeit, dass sich die Pharaonen mit Unmengen an Reichtümern bestatten ließen, um auch nach ihrem Tod so weiterleben zu können, wie sie es in der irdischen Welt getan hatten. Diese Schlussfolgerungen der modernen Archäologen stimmten aber anscheinend nicht ganz. Die Kostbarkeiten der Reichen, aber auch relativ wertlosen Beigaben der ärmeren Bevölkerung dienten als Bezahlung für die weite Reise zu den Göttern, die im Himmel wohnten. Sie erfuhr, dass die Ewigwährenden in unregelmäßigen Abständen einen himmlischen Fährmann auf die Erde sandten, der die Toten zu einem weit entfernten Ort mitnahm, wo sie entweder für die Götter arbeiten oder, wie die Pharaonen, an ihrer Seite leben
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