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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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Einzige, die wusste, dass die Mumien der Pharaonen auch noch in dreitausend Jahren in ihren Gräbern ruhen würden und dass sie alle beraubt worden wären. Niemandem sonst war das bekannt. Sie stellte das Verbindungsglied zwischen dem Pharao und den Göttern dar, damit Ramses VII. zu seinem göttlichen Vater gelangen konnte.
    Sie setzte sich wieder und griff nach dem Wasserkrug, um sich einen Becher einzuschenken. Anschließend widmete sie sich erneut dem Text. Als sie das nächste Mal wieder hochsah, war es bereits tiefe Nacht.
    Vorsichtig rollte sie die alten Schriften zusammen und legte sie zurück in den abgeschirmten Teil der Bibliothek des Lebenshauses. Es war spät, und sie war müde. Zudem wusste sie, dass Amunhotep sicher über das Warten auf ihre Rückkehr schon wieder eingeschlafen war.
    Sie seufzte, griff nach der Öllampe und verließ die Bibliothek.
    Als sie hinaus in die angenehm nächtliche Kühle trat, um gemächlich zum Anwesen des Hohepriesters zu schlendern, das jetzt auch das ihre war, kam sie auf dem Vorhof an der Granitstatue des Gottes vorbei. Unwillkürlich blieb sie stehen und sah hinauf zu seinem gütig lächelnden Gesicht.
    »Ich danke dir, o Großer Gott Osiris, dass du mich erwählt hast, dir zu dienen. Ich danke dir, dass ich das alles erleben und erfahren darf.« Sie verneigte sich.
    Als sie erneut in das Antlitz des Gottes sah, schien es ihr, als lächelte er auf sie herab. Daraufhin fiel sie vor seinem Standbild auf die Knie und küsste seine Füße. Der Granit war warm, und Meritusir spürte, wie sich ein tiefer innerer Frieden in ihrem Herzen auszubreiten begann. Sie verharrte einen kurzen Moment in dieser demütigen Stellung, bevor sich wieder erhob und ihren Weg zum Anwesen fortsetzte.
     
    * * *
     
    »Schön, dass du immer noch den Weg nach Hause in unser Bett findest«, merkte Amunhotep beim gemeinsamen Frühstück am folgenden Morgen säuerlich an. »Anderenfalls könnte es noch passieren, dass du unsere Abreise verpasst.«
    »Unsere Abreise?« Verständnislos kräuselte Meritusir die Stirn und blickte von ihrer Linsensuppe auf, in der sie mit einem Stück Brot appetitlos herumgestochert hatte.
    »Gestern erreichte mich ein Schreiben vom Pharao«, erklärte Amunhotep und griff nach seinem Becher, in dem sich mit Wasser verdünnter Wein befand. »Auf Befehl Seiner Majestät sollen die Handwerker eine Woche Freizeit erhalten, in der alle Arbeiten ruhen. Die Männer wird es sicher freuen, überraschend zehn Tage faulenzen zu dürfen. Es ist ihnen überlassen, ob sie zu ihren Familien fahren oder lieber in Abydos bleiben, wo sie über die gesamte Zeit durch die Küchen des Osiris-Tempels mit Brot, Gemüse, Fleisch und Bier versorgt werden sollen. Die Getreuen werden nicht in den Genuss dieser freien Tage kommen. Der Zugang zum Westlichen Haus muss ständig abgesichert sein.«
    »Und warum hat Ramses die Arbeiten stoppen lassen?«, fragte Meritusir, die nicht begriff, was das zu bedeuten hatte.
    »Es ist Ramses’ Wunsch, sowohl mich als dich in Theben anlässlich seines vierten Thronjubiläums begrüßen zu dürfen.«
    »Wir reisen nach Theben?« Meritusir war ihre Freude anzumerken. Zu selten, eigentlich fast nie, kam sie aus Abydos heraus.
    Eine knappe Woche später erreichte die Barke des Hohepriesters das hunderttorige Theben.
    Als das Boot auf die schmale, von zwei Kriegsschiffen Seiner Majestät bewachte Hafeneinfahrt des Palastes zusteuerte, hielt Meritusir gebannt den Atem an. Auf dem Fluss hatte es schon von Schiffen gewimmelt – von großen prunkvollen Barken der Adligen über kleinere der wohlhabenden Bürger bis hin zu den winzigen Papyrusbooten der Bauern –, doch der Anblick, der sich ihr im königlichen Hafen bot, verschlug ihr die Sprache. Die prachtvollen Schiffe lagen dicht an dicht am Kai gedrängt. Es waren so viele Würdenträger erschienen, dass die Barken zum Teil in Zweier- und Dreierreihen nebeneinander festgemacht hatten und die Passagiere gezwungen waren, ihr Boot über das anderer Gäste zu verlassen. Königliche Diener standen bereit, um den Ankömmlingen beim Verlassen der Schiffe behilflich zu sein, damit niemand ins Hafenbecken fiel und womöglich ertrank. Für ausgewählte Beamte wie den Wesir und Amunhotep war ein separater Anlegeplatz in unmittelbarer Nähe der königlichen Barke freigehalten worden.
    Amunhoteps Schiff hatte noch nicht einmal richtig festgemacht, als bereits ein königlicher Herold erschien, um den Hohepriester und dessen

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