Der Zauber einer Winternacht
worum ich dich bitte?“
„Ich tue, worum dein Vater mich bittet“, korrigierte er. „Bilde dir nicht ein, ich täte das für dich.“
Auf diese Idee wäre Gillian ohnehin nicht gekommen. Zu deutlich stand sein Abscheu in seinem Gesicht geschrieben. Sie verzichtete auf einen Kommentar und nickte. „Warum auch immer – ich weiß deine Hilfe zu schätzen. Danke.“
„Wie hast du dir das praktisch vorgestellt? Über die Feiertage kann ich mir problemlos freinehmen, aber ich würde die Sache gern schneller hinter mich bringen. Zum Weihnachtsfest nächste Woche möchte ich wieder zu Hause sein. Wie sieht es bei dir aus?“
Gillian sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch. Prompt waren sie wieder mitten in der Auseinandersetzung, die sie während ihrer gesamten Ehe geführt hatten.
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich irgendwann weniger Zeit für die Firma brauche. Wenn du nur ein bisschen mehr Geduld aufgebracht hättest …“
„Geduld!“, wiederholte sie aufgebracht. „Deine ‚vorübergehende Phase‘ hat sich auf unser gesamtes gemeinsames Leben ausgedehnt!“
Bryce musterte sie kühl. „Nicht nur du leidest darunter, was aus unserer Ehe geworden ist. Warum bildest du dir eigentlich ein, deine Trauer sei so viel tiefer als meine? Unterstellen alle Frauen, dass Männer keine Gefühle haben, oder gilt das nur für dich?“
Gillian beherrschte sich nur mühsam. Wie hatten sie es nur so lange miteinander ausgehalten, ohne sich gegenseitig umzubringen? Im Moment hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen, weil sie sein selbstgefälliges Lächeln nicht ertrug.
„Könnten wir zum Thema zurückkommen?“, fragte sie betont ruhig und sachlich. „Es hat keinen Sinn, sich über Dinge zu streiten, die wir sowieso nicht ändern können.“
Nur zu gut erinnerte sie sich daran, wie oft sie sich darüber beklagt hatte, dass er seiner Firma so viel Zeit widmete, während das Privatleben auf der Strecke blieb. Als junge Ehefrau hatte sie sich entsetzlich einsam und allein gefühlt. Bryce hatte auch schon vor ihrer Hochzeit für ihre Begriffe viel zu viel gearbeitet, aber sie hatte gehofft, durch ihr Jawort würde sich das zum Positiven ändern.
Nach ihrer Scheidung gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, verstand sie inzwischen allerdings besser, warum ihn seine Arbeit so in Anspruch nahm. Es war nicht leicht für sie gewesen, die Ausbildung zur Immobilienmaklerin abzuschließen und sich auf einem hart umkämpften Markt zu etablieren.
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass sie als berufstätige Frau das Arbeitsethos ihres Exmannes übernommen hatte: zuerst die Pflicht, dann das Vergnügen. Im Rückblick fragte sie sich, ob ihr Vorwurf, er stecke zu viel Energie in sein neu gegründetes Software-Unternehmen, nicht ein wenig ungerecht gewesen war. Trotzdem gab es keine Entschuldigung dafür, dass er seine Familie vernachlässigt hatte. Sie waren ja gar nicht unbedingt auf das Geld angewiesen gewesen. Ihr Vater hätte ihnen gern jederzeit finanziell unter die Arme gegriffen. Aber dafür war Bryce zu stolz und zu ehrgeizig gewesen. Das hatte letztlich den Keil zwischen sie getrieben.
„Um Weihnachten herum tut sich sowieso nicht viel auf dem Immobilienmarkt“, sagte Gillian. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie würde eine Menge Termine verschieben müssen, um ihren Chef und ihre Kunden nicht zu verprellen. „Von daher ist es für mich kein Problem, ein paar Wochen freizunehmen.“
Bryce war überrascht. „Ich bin beeindruckt“, sagte er. „In so kurzer Zeit ist es dir gelungen, Privat- und Berufsleben unter einen Hut zu bringen. Oder sollte das etwa daran liegen, dass dein kleiner Ausflug in die Geschäftswelt von deinem Vater mitfinanziert wird?“
„Zur Hölle mit dir!“ Die unausgesprochene Unterstellung, ihre Tätigkeit als Immobilienmaklerin sei nur ein Hobby und sie lebe von der Großzügigkeit ihres Vaters, empörte sie.
„Ich habe meinem Vater jeden Penny zurückgezahlt, den ich mir je von ihm geliehen habe – genau wie du.“ Ja, auch Bryce hatte sich einmal Geld von John Baron leihen müssen. Ihn daran zu erinnern erfüllte sie mit Genugtuung.
Bryce ignorierte den Seitenhieb. Während ihrer Ehe hatte er seine Verantwortung als Ernährer sehr ernst genommen. Viel zu ernst für Gillians Geschmack. Es hatte seinem Ego einen schweren Schlag versetzt, auf ihr Drängen hin schließlich doch auf die finanzielle Unterstützung ihres Vaters zurückgreifen zu
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