Der Zauber eines fruehen Morgens
doch noch unseren Plan von einer Pension an der See verwirklichen, wenn ich mit der Prothese zurechtkomme.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte sie und strich ihm zärtlich über die Wange. »Das Schlimmste haben wir hinter uns, jetzt kann es nur noch besser werden.«
Belle erhielt von Vera einen beunruhigenden Brief über die Männer, die drüben in Frankreich an der Spanischen Grippe starben. Erst einen Tag zuvor hatte Mog aus der Zeitung vorgelesen, dass in London und anderen Städten überall auf der Welt Fälle von Grippe aufgetreten waren.
Belle hatte zuerst angenommen, die Zeitungen würden diese sogenannte »Epidemie« künstlich aufbauschen, weil ihren Kriegsberichten allmählich der Schwung ausging. Aber Vera neigte nicht zu Übertreibungen.
Sie sterben über Nacht, schrieb die Freundin . Es ist einfach schrecklich. An einem Tag habe ich sechs Patienten mit Verletzungen abgeholt, die im Nu behandelt werden konnten. Zwei Tage später hatten drei von ihnen hohes Fieber, einer starb in der ersten Nacht, die anderen zwei am nächsten Tag. Patienten, bei denen der Verdacht auf Grippe be s teht, kommen auf eine Isolierstation, doch es geht zu schnell. In einem Moment sehen sie noch völlig gesund aus, im nächsten schwitzen sie fürchterlich und verlieren die Kontrolle über sämtliche Körperfunktionen. Seltsam ist, dass es die Jungen und Kräftigen trifft; alte Leute und Kinder scheinen unempfindlich gegen diese Krankheit zu sein.
Veras Brief war Anfang August gekommen, und innerhalb einer Woche wusste Mog über zwei Todesfälle durch die Spanische Grippe zu berichten; beide Male handelte es sich um Frauen von Mitte zwanzig. Garth fiel auf, dass im Wirtshaus weniger los war, wahrscheinlich, weil die Leute es für ratsam hielten, stark frequentierten Orten fernzubleiben. In den Warteschlangen vor den Geschäften schien jeder jemanden zu kennen, der an dieser furchtbaren Grippe erkrankt oder bereits daran gestorben war.
Bald stand fest, dass die Presse keine Schauergeschichten verbreitete oder die Epidemie als Abwechslung von der Kriegsberichterstattung benutzte. Die Spanische Grippe war da und streckte Menschen nieder, die gesund und kräftig gewesen waren. An einem Morgen polierte Belle einmal wieder die Messingbeschläge an der Eingangstür, und in dieser kurzen Zeit zogen gleich zwei Leichenzüge am Railway Inn vorbei. Furcht machte sich breit; Belle sah sie in den Gesichtern der Frauen, wenn sie zu den Geschäften eilten; Mogs Nähzirkel wurde eingestellt, Kartenpartien wurden abgesagt, und die Leute gingen lieber zu Fuß, als den Omnibus zu nehmen.
Dann wurde Garth krank. Mog hatte noch nie erlebt, dass er auch nur eine Erkältung bekommen hätte, aber mittags klagte er über Halsweh, und um vier Uhr nachmittags hatte er so starken Schüttelfrost, dass er sich ins Bett legen musste.
Dr. Towle kam noch am selben Abend und riet Mog, eine Gazemaske über Mund und Nase zu tragen, wenn sie ihn pflegte. Alles, was er verordnen konnte, war, Garth möglichst viel trinken zu lassen und ihn mit kaltem Wasser abzureiben, falls er Fieber bekam.
»Sie halten sich von ihm fern«, sagte er energisch zu Belle undJimmy, die vor der Schlafzimmertür warteten. »Überlassen Sie Mrs. Franklin die Pflege ihres Mannes. Und lassen Sie die Schenke einstweilen geschlossen.«
Als Belle in der Nacht hörte, wie Mog aus ihrem und Garths Schlafzimmer kam, stieg sie schnell aus dem Bett. Sie holte Mog, die mit Bettwäsche beladen war, auf der Treppe ins Erdgeschoss ein.
»Wie geht es ihm?«, fragte Belle. »Kann ich irgendetwas tun?«
»Er ist wirklich schlimm dran.« Mogs Unterlippe zitterte. »Er kann es nicht mehr kontrollieren, wenn er …« Sie brach verlegen ab, und Belle fiel auf, dass die Bettwäsche beschmutzt war. »Er deliriert. Ich will nur schnell das hier einweichen.«
»Ich erledige das«, sagte Belle und nahm ihr das Bündel ab. »Und ich koche dir einen Tee. Hättest du gern ein belegtes Brot oder sonst etwas?«
Mog schüttelte den Kopf. »Ich könnte vor Angst keinen Bissen herunterbringen. Garth ist ein kräftiger Mann, aber das ist wirklich ernst.«
»Nachts sieht immer alles schlimmer aus«, versuchte Belle, sie zu beruhigen. »Geh wieder zu ihm, ich erledige das hier! Den Tee bringe ich dir in ein paar Minuten.«
»Könntest du noch Bettwäsche und ein Handtuch mitbringen?«, bat Mog. »Ich habe sein Bett frisch bezogen, doch es kann wieder passieren. Und ein bisschen warmes Wasser könnte
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