Der Zauber von Savannah Winds
Aber sie wäre töricht, wenn sie glaubte, daraus könne etwas werden. Sie war beinahe sechs Jahre älter als er und hatte nicht das Recht, etwas für jemanden zu empfinden, der sie wahrscheinlich für eine alte Frau hielt oder – noch schlimmer – für eine Mutterfigur.
Sicher, das Leben im Outback machte Jungen auf jeden Fall zu Männern, junge Frauen dagegen verwandelte es in alte Weiber – sie sollte es wissen, denn sie hatte sich im Spiegel gesehen. Die Sonne hatte sie altern lassen, ihr einst glänzendes dunkles Haar war inzwischen trocken und matt, ihre Hände waren rau, die Nägel ungepflegt und schmutzig. Die alte Baumwollhose und die zerfledderte Bluse, die an ihr schlabberten, verbargen ihre schlanke Figur, sodass man sie aus der Entfernung vermutlich mit einem zerlumpten Jungen vom Land verwechseln konnte.
Dennoch musste Annie zugeben, dass sich in den vergangenen Wochen etwas in ihr geregt hatte und dass sie vergeblich versucht hatte, diese Gefühle zu unterdrücken.
März 1940
Der lange Treck zog weiter. Unterwegs nahm er von abgelegenen Farmen noch mehr Rinder mit. Diese Pausen bedeuteten Wasser für die Tiere, eine anständige warme Mahlzeit und die Gelegenheit, ein Bad zu nehmen – ein vollkommener Luxus, nachdem man wochenlang im Sattel gesessen hatte und von Staub eingehüllt gewesen war.
Endlich kamen am Horizont die Telegrafenmasten und Eisenbahnlinien von Longreach in Sicht. Die Stimmung stieg, aber da die Rinder Wasser rochen und deshalb schneller zu laufen begannen, war klar, dass jeder auf der Hut sein und sie davon abhalten musste durchzugehen. Wenn das geschah, könnten Kälber und Ochsen zertrampelt und Wasserstellen zu nutzlosen Schlammlöchern werden, noch ehe alle Tiere genug getrunken hatten.
Sie teilten die Tiere in mehrere Gruppen, und es dauerte bis weit in den Abend hinein, einige zurückzuhalten, während die anderen zur Tränke geführt wurden. Sobald alle unversehrt in den Schlachthöfen eingepfercht waren, mit jeder Menge Futter, um sie zu beschäftigen, eilten die Frauen ins Hotel in der Hoffnung, das Bad als Erste zu belegen.
Die einheimischen Viehtreiber begaben sich ans andere Ende der Stadt, um sich im Pub zu versorgen; der Rest fand in den drei Hotels auf der Hauptstraße Unterkunft, wo die Männer geradewegs ihre Lieblingsbar ansteuerten.
Reichlich Bier wäre vonnöten, um den Staub aus den trockenen Kehlen zu spülen, und alle wussten, dass Prügeleien ausbrechen würden, noch ehe die Nacht vorüber war. Doch das alles gehörte zum Spaß – einander am Ende eines Faustkampfes die Hand zu schütteln war eine verdammt gute Ausrede für weitere Drinks. Am Morgen würde es einige sehr verkaterte Männer geben, und es würde ein paar Tage dauern, bevor man sie zur Rückkehr bewegen könnte.
Da Frauen in Bars nicht zugelassen waren, saßen sie auf der vorderen Veranda und beobachteten das Treiben auf der breiten Straße, während sie erfrischend kaltes Bier und viel heißen, süßen Tee tranken und darauf warteten, dass das einzige Badezimmer für sie frei gemacht würde.
Annie war noch lange im Schlachthof aufgehalten worden, nachdem die anderen schon fort waren. Sie musste die Anzahl der Tiere bestätigen, die sie mitgebracht hatte, und die Herkunft des Viehs nachweisen, das nicht von Savannah Winds stammte. Die Versteigerung würde am nächsten Morgen stattfinden, und erst dann würde sie wissen, wie erfolgreich die Saison gewesen war. Doch es sah so aus, als sei der Fleischpreis in die Höhe geschnellt, und sie war ganz aufgeregt bei dem Gedanken, ihre Schulden bei der Bank tilgen zu können.
Als sie schließlich das Hotel erreichte, stellte sie fest, dass noch immer eine Schlange vor dem Bad stand. Sie beschloss, sich auf die leere hintere Veranda zu setzen. Sie würde das Risiko eingehen, dass kein warmes Wasser mehr da wäre, wenn sie bettreif war.
Auf der Rückseite des Hotels war es ruhig, obwohl von der Hauptstraße lautes Rufen, derbe Gesänge und das Splittern von Gläsern herüberschallte. Nach den langen Wochen, in denen sie gemeinsam unterwegs gewesen waren und sich gegenseitig auf der Pelle gesessen hatten, empfand sie es als sehr angenehm, diese Zeit für sich allein zu haben.
Eine Weile saß sie einfach nur da und beobachtete den vorbeiziehenden Mond, lauschte den Grillen und dem Säuseln des Windes. Allmählich fiel die Anspannung von ihr ab, und die Schmerzen nach dem langen Ritt ließen nach.
Nach einem kalten Bier drehte Annie sich
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