Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
schwerkrank oder moribund das Bett hütete, weder die Kleefeld mit dem Pneumothorax noch … noch auch Madame Chauchat. Es war natürlich in seinem Falle wohl nicht ganz das Rechte, – bloßes Schnupfenfieber, wie man es unten nannte. Aber genau zu unterscheiden und auseinanderzuhalten war das nicht, Hans Castorp bezweifelte, daß er diese Temperatur erst bekommen, seit er sich erkältet hatte, und er mußte bedauern, Merkurius nicht schon früher befragt zu haben, gleich anfangs, wie der Hofrat es ihm nahegelegt hatte. Ganz vernünftig war dieser Ratschlag gewesen, das zeigte sich nun, und Settembrini hatte völlig unrecht getan, so höhnisch darüber in die Lüfte zu lachen, – Settembrini mit der Republik und dem schönen Stil. Hans Castorp verachtete die Republik und den schönen Stil, während er immer wieder die Aussage des Thermometers prüfte, die ihm mehrmals durch die Blendung verloren ging und {260} die er dann durch eifriges Drehen und Wenden des Instruments wieder herstellte: sie lautete auf 37,6, und das am frühesten Vormittag!
    Seine Bewegung war mächtig. Er ging ein paarmal durch das Zimmer, das Thermometer in der Hand, wobei er es jedoch wagerecht hielt, um nicht durch senkrechte Erschütterung eine Störung hervorzurufen, legte es dann mit aller Bewahrsamkeit auf die Waschtischplatte nieder und ging vorerst einmal mit Paletot und Decken in die Liegekur. Sitzend warf er die Decken um sich, wie er es gelernt hatte, von den Seiten und von unten, eine nach der anderen, mit schon geübter Hand, und lag dann still, die Stunde des zweiten Frühstücks und Joachims Eintritt erwartend. Zuweilen lächelte er, und es war, als lächle er jemandem zu. Zuweilen hob sich seine Brust mit einem beklommenen Beben, und dann mußte er husten aus seiner katarrhalischen Brust.
    Joachim fand ihn noch liegend, als er um elf Uhr, nach dem Tönen des Gongs, zu ihm herüberkam, um ihn zum Frühstück abzuholen.
    »Nun?« fragte er verwundert, indem er neben den Stuhl trat …
    Hans Castorp schwieg noch eine Weile und sah vor sich hin. Dann gab er zur Antwort:
    »Ja, das Neueste ist also, daß ich etwas Temperatur habe.«
    »Was soll das heißen?« fragte Joachim. »Fühlst du dich fiebrig?«
    Hans Castorp ließ wieder ein wenig auf die Antwort warten und gab hierauf mit einer gewissen Trägheit die folgende:
    »Fiebrig, mein Lieber, fühle ich mich schon längst, schon die ganze Zeit. Aber jetzt handelt es sich nicht um subjektive Empfindungen, sondern um eine exakte Feststellung. Ich habe mich gemessen.«
    »Du hast dich gemessen?! Womit?!« rief Joachim erschrokken.
    {261} »Selbstverständlich mit einem Thermometer«, antwortete Hans Castorp nicht ohne Spott und Strenge. »Die Oberin hat mir eines verkauft. Warum sie einen immer ›Menschenskind‹ anredet, das weiß ich nicht; korrekt ist es nicht. Aber ein sehr gutes Thermometer hat sie mir in aller Eile verkauft, und wenn du dich überzeugen willst, wieviel es zeigt, so liegt es da drinnen auf dem Waschtisch. Es ist eine minimale Erhöhung.«
    Joachim machte kurz kehrt und ging ins Zimmer. Als er zurückkehrte, sagte er zögernd:
    »Ja, das sind 37 Komma 5½.«
    »Dann ist es etwas zurückgegangen!« versetzte Hans Castorp rasch. »Es waren sechs.«
    »Keinesfalls kann man das minimal nennen für den Vormittag«, sagte Joachim. »Eine schöne Bescherung«, sagte er und stand an seines Vetters Lager, wie man eben vor einer »schönen Bescherung« steht, die Arme in die Seiten gestemmt und mit gesenktem Kopfe. »Du wirst ins Bett müssen.«
    Hans Castorp hatte darauf seine Antwort bereit.
    »Ich sehe nicht ein,« sagte er, »warum ich mich mit 37,6 ins Bett legen soll, wo doch du und so viele andere, die auch nicht weniger haben, – wo ihr alle hier frei herumlauft.«
    »Das ist aber doch etwas anderes«, sagte Joachim. »Bei dir ist es akut und harmlos. Du hast Schnupfenfieber.«
    »Erstens,« erwiderte Hans Castorp und teilte seine Rede nun sogar in erstens und zweitens ein, »verstehe ich nicht, warum man mit harmlosem Fieber – ich will einmal annehmen, daß es so etwas gibt – mit harmlosem Fieber das Bett hüten muß, mit anderem aber nicht. Und zweitens sage ich dir ja, daß der Schnupfen mich nicht heißer gemacht hat, als ich schon vorher war. Ich stehe auf dem Standpunkt,« schloß er, »daß 37,6 gleich 37,6 ist. Könnt ihr damit herumlaufen, kann ich es auch.«
    »Ich habe aber vier Wochen liegen müssen, als ich ankam,« wandte Joachim ein;

Weitere Kostenlose Bücher