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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Pädagogisches geäußert. Er sagte aber nur:
    »Lichtanatomie haben wir neulich getrieben in unserem Parterrekeller. Behrens nannte es so, als er uns durchleuchtete.«
    »Ah, auch diese Station haben Sie schon erstiegen. Nun, und?«
    »Ich habe das Skelett meiner Hand gesehen«, sagte Hans Castorp, indem er sich die Empfindungen zurückzurufen suchte, die bei diesem Anblick in ihm aufgestiegen waren. »Haben Sie sich Ihres auch einmal zeigen lassen?«
    »Nein, ich interessiere mich nicht im geringsten für mein Skelett. Und das ärztliche Ergebnis?«
    »Er hat Stränge gesehen, Stränge mit Knötchen.«
    »Teufelsknecht.«
    {339} »So haben Sie Hofrat Behrens schon einmal genannt. Was meinen Sie damit?«
    »Seien Sie überzeugt, daß es eine gewählte Bezeichnung ist!«
    »Nein, Sie sind ungerecht, Herr Settembrini! Ich gebe zu, daß der Mann seine Schwächen hat. Seine Redeweise ist mir selbst auf die Dauer nicht angenehm; sie hat zuweilen was Gewaltsames, besonders wenn man sich erinnert, daß er den großen Kummer gehabt hat, seine Frau hier oben einzubüßen. Aber was für ein verdienter und achtbarer Mann ist er doch alles in allem, ein Wohltäter der leidenden Menschheit! Neulich begegnete ich ihm, als er eben von einer Operation kam, einer Rippenresektion, einer Sache, bei der es auf Biegen oder Brechen gegangen war. Es machte großen Eindruck auf mich, wie ich ihn so von seiner schwierigen, nützlichen Arbeit kommen sah, auf die er sich so gut versteht. Noch ganz erhitzt war er und hatte sich zur Belohnung eine Zigarre angezündet. Ich war neidisch auf ihn.«
    »Das war schön von Ihnen. Aber Ihr Strafmaß?«
    »Er hat mir keine bestimmte Frist gesetzt.«
    »Auch nicht übel. Legen wir uns also, Ingenieur. Beziehen wir unsere Stellungen.«
    Sie verabschiedeten sich vor Nummer 34.
    »Nun gehen Sie auf Ihr Dach hinauf, Herr Settembrini. Es muß lustiger sein, so in Gesellschaft zu liegen, als allein. Unterhalten Sie sich? Sind es interessante Leute, mit denen Sie Kur machen?«
    »Ach, das sind lauter Parther und Skythen!«
    »Sie meinen Russen?«
    »Und Russinnen«, sagte Herr Settembrini, und sein Mundwinkel spannte sich. »Adieu, Ingenieur!«
    Das war mit Bedeutung gesagt, unzweifelhaft. Hans Castorp betrat in Verwirrung sein Zimmer. Wußte Settembrini, wie es um ihn stand? Wahrscheinlich hatte er ihm erzieherisch nach {340} gespürt und die Wege verfolgt, die seine Augen gingen. Hans Castorp war zornig auf den Italiener und auch auf sich selbst, weil er unbeherrschterweise den Stich herausgefordert hatte. Während er sein Schreibzeug zusammensuchte, um es mit in die Liegekur zu nehmen – denn nun galt kein Zögern mehr, der Brief nach Hause, der dritte, wollte geschrieben sein –, fuhr er fort, sich zu ärgern, murmelte dies und das vor sich hin gegen diesen Windbeutel und Räsonneur, der sich in Dinge mischte, die ihn nichts angingen, während er selbst die Mädchen auf der Straße anträllerte, – und fühlte sich zu der schriftlichen Arbeit gar nicht mehr aufgelegt, – dieser Drehorgelmann hatte ihm mit seinen Anspielungen förmlich die Stimmung dazu verdorben. Aber so oder so, er mußte Winterzeug haben, Geld, Wäsche, Schuhwerk, kurz alles, was er mitgenommen haben würde, wenn er gewußt hätte, daß er nicht für drei Hochsommerwochen, sondern … sondern für eine noch unbestimmte Frist kam, die aber jedenfalls ein Stück in den Winter hineinreichen, ja, wie bei Uns hier oben die Begriffe und Zeitverhältnisse nun einmal waren, ihn wohl gar einschließen würde. Dies eben wollte, wenigstens als Möglichkeit, nach Hause mitgeteilt sein. Es galt diesmal ganze Arbeit zu tun, Denen dort unten reinen Wein einzuschenken und weder sich noch ihnen länger etwas vorzumachen …
    In diesem Geiste schrieb er denn, unter Beobachtung der Technik, die er Joachim mehrmals hatte üben sehen: im Liegestuhl, mit dem Füllfederhalter, die Reisemappe auf den hochgezogenen Knien. Er schrieb auf einem Briefbogen der Anstalt, von denen ein Vorrat in der Tischschublade bereit lag, an James Tienappel, der ihm unter den drei Onkels am nächsten stand, und bat ihn, den Konsul zu unterrichten. Er sprach von einem leidigen Zwischenfall, von Befürchtungen, die sich bewahrheitet hätten, von der ärztlicherseits erklärten Notwendigkeit, einen Teil des Winters, vielleicht den ganzen hier oben {341} zu verbringen, denn Fälle wie der seinige seien oft hartnäckiger als solche, die sich pompöser anließen, und es gelte

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