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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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kleidsames Kostümstück machte. Beständig wechselte sie den Schmuck, begann in der Frühe mit Korallen und endete abends mit Perlen. Erfreut durch Hans Castorps Blumensendung, der sie offensichtlich eine mehr galante als charitative Bedeutung beilegte, ließ sie die jungen Herren zum Tee an ihr Lager bitten, den sie aus einer Schnabeltasse trank, die Finger ohne Ausnahme der Daumen und bis zu den Gelenken mit Opalen, Amethysten und Smaragden bedeckt. Bald, während die goldenen Ringe an ihren Ohren schaukelten, hatte sie den Vettern erzählt, wie alles sich mit ihr zugetragen: von ihrem anständigen, aber langweiligen Mann, ihren ebenfalls anständigen und langweiligen Kindern, die ganz dem Vater nacharteten und für die sie sich niemals sonderlich hatte erwärmen können, und von dem halben Knaben, mit dem sie das Weite gesucht und dessen poetische Zärtlichkeit sie sehr zu rühmen wußte. Aber seine Verwandten hätten ihn mit List und Gewalt von ihr losgemacht, und dann habe sich der Kleine auch wohl vor ihrer Krankheit geekelt, die da {475} mals vielfältig und stürmisch zum Ausbruch gekommen. Ob die Herren sich etwa auch ekelten, fragte sie kokettierend; und ihre Rasse-Weiblichkeit triumphierte über das Ekzem, das ihr das halbe Gesicht überzog.
    Hans Castorp dachte geringschätzig über den Kleinen, der sich geekelt hatte, und gab dieser Empfindung auch durch ein Achselzucken Ausdruck. Was ihn betraf, so ließ er sich den Weichmut des poetischen Halbknaben zum Ansporn in entgegengesetzter Richtung dienen und nahm Gelegenheit, der unglückseligen Frau von Mallinckrodt bei wiederholten Besuchen kleine Pflegerdienste zu leisten, zu denen keine Vorkenntnisse gehörten, das heißt: ihr behutsam den Mittagsbrei einzuführen, wenn er eben serviert wurde, ihr aus der Schnabeltasse zu trinken zu geben, wenn der Bissen ihr steckenblieb, oder ihr beim Umlagern im Bette behilflich zu sein; denn zu allem übrigen erschwerte eine Operationswunde ihr auch das Liegen. In diesen Handreichungen übte er sich, wenn er auf dem Wege zum Speisesaal oder von einem Spaziergange heimkehrend bei ihr einsprach, indem er Joachim aufforderte, immer voranzugehen, er wolle nur rasch den Fall auf Nummer fünfzig ein bißchen kontrollieren, – und empfand eine beglückende Ausdehnung seines Wesens dabei, eine Freude, die auf dem Gefühl von der Förderlichkeit und heimlichen Tragweite seines Tuns beruhte, sich übrigens auch mit einem gewissen diebischen Vergnügen an dem untadelig christlichen Gepräge dieses Tuns und Treibens mischte, einem so frommen, milden und lobenswerten Gepräge in der Tat, daß weder vom militärischen noch vom humanistisch-pädagogischen Standpunkte irgend etwas Ernstliches dagegen erinnert werden konnte.
    Von Karen Karstedt war noch nicht die Rede, und doch nahmen Hans Castorp und Joachim sich ihrer sogar besonders an. Sie war eine auswärtige Privatpatientin des Hofrats, von ihm {476} der Charität der Vettern empfohlen. Seit vier Jahren hier oben, war die Mittellose von harten Verwandten abhängig, die sie schon einmal, da sie doch sterben müsse, von hier fortgenommen und nur auf Einspruch des Hofrats wieder heraufgeschickt hatten. Sie domizilierte in »Dorf«, in einer billigen Pension, – neunzehnjährig und schmächtig, mit glattem, geöltem Haar, Augen, die zaghaft einen Glanz zu verbergen suchten, der mit der hektischen Erhöhung ihrer Wangen übereinstimmte, und einer charakteristisch belegten, dabei aber sympathisch lautenden Stimme. Sie hustete fast ohne Unterbrechung, und ihre sämtlichen Fingerspitzen waren verpflastert, da sie infolge der Vergiftung offen waren.
    Ihr also widmeten die beiden auf Fürbitte des Hofrats, da sie nun einmal so gutherzige Kerle seien, sich ganz besonders. Mit einer Blumensendung begann es, dann folgte ein Besuch bei der armen Karen auf ihrem kleinen Balkon in »Dorf« und hierauf diese und jene außerordentliche Unternehmung zu dritt: die Besichtigung einer Eislaufkonkurrenz, eines Bobsleighrennens. Denn es war nun die Wintersport-Jahreszeit unseres Hochtales auf voller Höhe, eine Festwoche wurde begangen, die Veranstaltungen häuften sich, diese Lustbarkeiten und Schauspiele, denen die Vettern bisher keine andere als nur eine gelegentlich-flüchtige Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Joachim war ja allen Zerstreuungen hier oben abhold. Nicht um solcher willen war er hier, – war überhaupt nicht hier, um zu leben und sich mit dem Aufenthalt abzufinden, indem er ihn

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