Der Zauberberg
Nußbaumpianinos. Die ersten Paare drehten sich im {507} Inneren eines unregelmäßigen Kreises von Sesseln und Stühlen, auf denen Zuschauer saßen.
Hans Castorp verabschiedete sich von dem eben fortschwebenden Tisch mit der Handbewegung: »Fahr hin!« Mit dem Kinn deutete er dann auf freie Sitzgelegenheiten, die er im kleinen Salon gewahrte, und auf die geschützte Zimmerecke rechts neben der Portiere. Er sagte nichts, vielleicht, weil ihm die Musik zu laut war. Er zog einen Stuhl – es war ein sogenannter Triumphstuhl, mit Holzrahmen und einer Plüschbespannung – für Frau Chauchat an den Ort, den er vorher pantomimisch bezeichnet hatte, und eignete sich selbst einen knisternden, krachenden Korbstuhl mit gerollten Armlehnen an, auf den er sich zu ihr setzte, gegen sie vorgebeugt, die Arme auf den Lehnen, ihr Crayon in den Händen, die Füße weit unter dem Stuhl. Sie ihrerseits lag allzu tief in dem Plüschgehänge, ihre Knie waren emporgehoben, doch schlug sie trotzdem das eine über das andere und ließ ihren Fuß in der Höhe wippen, dessen Knöchel über dem Rande des schwarzen Lackschuhs von der ebenfalls schwarzen Seide des Strumpfes überspannt war. Vor ihnen saßen andere Leute, standen auf, um zu tanzen und machten solchen Platz, die müde waren. Es war ein Kommen und Gehen.
»Du hast ein neues Kleid«, sagte er, um sie betrachten zu dürfen, und hörte sie antworten:
»Neu? Du bist bewandert in meiner Toilette?«
»Habe ich nicht recht?«
»Doch. Ich habe es mir kürzlich hier machen lassen, bei Lukaček im Dorf. Er arbeitet viel für Damen hier oben. Es gefällt dir?«
»Sehr gut«, sagte er, indem er sie mit dem Blick noch einmal umfaßte und ihn dann niederschlug. »Willst du tanzen?« fügte er hinzu.
»Würdest du wollen?« fragte sie mit erhobenen Brauen lächelnd dagegen, und er antwortete:
{508} »Ich täte es schon, wenn du Lust hättest.«
»Das ist weniger brav, als ich dachte, daß du seist«, sagte sie, und da er wegwerfend auflachte, fügte sie hinzu: »Dein Vetter ist schon gegangen.«
»Ja, er ist mein Vetter«, bestätigte er unnötigerweise. »Ich sah auch vorhin, daß er fort ist. Er wird sich gelegt haben.«
»C’est un jeune homme très étroit, très honnête, très allemand.«
»Étroit? Honnête?« wiederholte er. »Ich verstehe Französisch besser, als ich es spreche. Du willst sagen, daß er pedantisch ist. Hältst du uns Deutsche für pedantisch – nous autres allemands?«
»Nous causons de votre cousin. Mais c’est vrai, ihr seid ein wenig bourgeois. Vous aimez l’ordre mieux que la liberté, toute l’Europe le sait.«
»Aimer … aimer … Qu’est-ce que c’est! Ça manque de définition, ce mot-là. Der Eine hat’s, der Andere liebt’s, comme nous disons proverbialement«, behauptete Hans Castorp. »Ich habe in letzter Zeit,« fuhr er fort, »manchmal über die Freiheit nachgedacht. Das heißt, ich hörte das Wort so oft, und so dachte ich darüber nach. Je te le dirai en français, was ich mir dachte. Ce que toute l’Europe nomme la liberté, est peut-être une chose assez pédante et assez bourgeoise en comparaison de notre besoin d’ordre – c’est ça!«
»Tiens! C’est amusant. C’est ton cousin à qui tu penses en disant des choses étranges comme ça?«
»Nein, c’est vraiment une bonne âme, eine einfache, unbedrohte Natur, tu sais. Mais il n’est pas bourgeois, il est militaire.«
»Unbedroht?« wiederholte sie mühsam … »Tu veux dire: une nature tout à fait ferme, sûre d’elle-même? Mais il est sérieusement malade, ton pauvre cousin.«
»Wer hat das gesagt?«
{509} »Man weiß hier voneinander.«
»Hat Hofrat Behrens dir das gesagt?«
»Peut-être en me faisant voir ses tableaux.«
»C’est-à-dire: en faisant ton portrait!«
»Pourquoi pas. Tu l’as trouvé réussi mon portrait?«
»Mais oui, extrêmement. Behrens a très exactement rendu ta peau, oh vraiment très fidèlement. J’aimerais beaucoup être portraitiste, moi aussi, pour avoir l’occasion d’étudier ta peau comme lui.«
»Parlez allemand, s’il vous plaît!«
»Oh, ich spreche Deutsch, auch auf Französisch. C’est une sorte d’étude artistique et médicale – en un mot: il s’agit des lettres humaines, tu comprends. Wie ist es nun, willst du nicht tanzen?«
»Aber nein, das ist kindisch. En cachette des médecins. Aussitôt que Behrens reviendra, tout le monde va se précipiter sur les chaises. Ce sera fort ridicule.«
»Hast
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