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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Schmach könne abgeholfen werden, sagte er froh. Die Menschheit sei aus Gründen der Zweckmäßigkeit wie auch bewogen durch ideelle Motive im Begriffe, ihr abzuhelfen. Und er erklärte sich für mitbeteiligt an den Vorbereitungen zu einem internationalen Kongreß für Feuerbestattung, dessen Schauplatz wahrscheinlich Schweden sein würde. Die Ausstellung eines musterhaften, gemäß aller bisher gemachten Erfahrung eingerichteten Krematoriums nebst Urnenhalle war geplant, und man durfte sich weitgreifender Anregungen und Ermutigungen davon versehen. Was für ein zopfig-obsoletes Verfahren, die Erdbestattung, – angesichts aller neuzeitlichen Umstände! Die Ausdehnung der Städte! Die Verdrängung der raumverzehrenden sogenannten Friedhöfe an die Peripherie! Die Bodenpreise! Die Ernüchterung des Bestattungsvorganges durch notwendige Benutzung der modernen Verkehrsmittel! Herr Settembrini wußte über dies alles nüchtern Treffendes vorzubringen. Er scherzte über die Figur des tiefgebeugten Witwers, der alltäglich zum Grabe der teuren Abgeschiedenen pilgerte, um an Ort und Stelle mit ihr Zwiesprache zu halten. Ein solcher Idylliker mußte vor allem am kostbarsten Lebensgute, nämlich der Zeit, sich eines befremdlichen Überflusses erfreuen, und übrigens würde der {689} Massenbetrieb des modernen Zentralfriedhofes ihm die atavistische Gefühlsseligkeit schon verleiden. Die Vernichtung des Leichnams durch Feuersglut, – welche reinliche, hygienische und würdige, ja heldische Vorstellung war das, im Vergleich mit derjenigen, ihn der elenden Selbstzersetzung und der Assimilation durch niedere Lebewesen zu überlassen! Ja, auch das Gemüt kam besser auf seine Rechnung bei dem neuen Verfahren, das menschliche Bedürfnis nach Dauer. Denn was im Feuer verging, das waren die überhaupt veränderlichen, die schon bei Lebzeiten dem Stoffwechsel unterworfenen Bestandteile des Körpers; diejenigen dagegen, die am wenigsten an diesem Strome teilnahmen und die den Menschen fast ohne Veränderung durch sein erwachsenes Dasein begleiteten, sie waren zugleich die feuerbeständigen, sie bildeten die Asche, und mit ihr sammelten die Fortlebenden das, was an dem Geschiedenen unvergänglich gewesen war.
    »Sehr hübsch«, sagte Naphta; oh, das sei sehr, sehr artig. Des Menschen unvergänglicher Teil, die Asche.
    Ah, selbstverständlich, Naphta beabsichtigte, die Menschheit in ihrer irrationalen Stellung zu den biologischen Tatsachen festzuhalten, er behauptete die primitiv religiöse Stufe, auf welcher der Tod ein Schrecknis war und von Schauern so geheimnisvoller Art umweht, daß es sich verbot, den Blick klarer Vernunft auf dies Phänomen zu richten. Welche Barbarei! Das Todesgrauen stammte aus Epochen niederster Kultur, wo der gewaltsame Tod die Regel gewesen, und das Entsetzliche, das diesem in der Tat anhaftete, hatte sich für das Gefühl des Menschen auf lange mit dem Todesgedanken überhaupt vermählt. Immer mehr jedoch wurde dank der Entwicklung der allgemeinen Gesundheitslehre und der Festigung der persönlichen Sicherheit der natürliche Tod zur Norm, und dem modernen Arbeitsmenschen erschien der Gedanke ewiger Ruhe nach sachgemäßer Erschöpfung seiner Kräfte nicht im {690} geringsten als grauenhaft, sondern vielmehr als normal und wünschenswert. Nein, der Tod war weder ein Schrecknis noch ein Mysterium, er war eine eindeutige, vernünftige, physiologisch notwendige und begrüßenswerte Erscheinung, und es wäre Raub am Leben gewesen, länger, als gebührlich, in seiner Betrachtung zu verharren. Darum war denn auch geplant, jenem Musterkrematorium und der zugehörigen Urnenhalle, der »Halle des Todes« also, eine »Halle des Lebens« anzubauen, worin Architektur, Malerei, Skulptur, Musik und Dichtkunst sich vereinigen sollten, um den Sinn des Fortlebenden von dem Erlebnis des Todes, von stumpfer Trauer und tatenloser Klage auf die Güter des Lebens zu lenken …
    »Eiligst!« spottete Naphta. »Damit er den Todesdienst nur ja nicht bis zur Ungebühr treibt, ja nicht zu weit geht in der Andacht vor einer so simplen Tatsache, ohne die es freilich weder Architektur, noch Malerei, noch Skulptur, noch Musik, noch Dichtkunst überhaupt auch nur gäbe.«
    »Er desertiert zur Fahne«, sagte Hans Castorp träumerisch.
    »Die Unverständlichkeit Ihrer Äußerung, Ingenieur,« antwortete ihm Settembrini, »läßt ihre Tadelhaftigkeit durchschimmern. Das Erlebnis des Todes muß zuletzt das Erlebnis des Lebens sein, oder es

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