Der Zauberberg
Schmerzen, die man diesem zufügte, ein durchaus empfehlenswertes Mittel, ihr die Lust am Sinnlichen zu versalzen und sie gleichsam aus dem Fleisch in den Geist zurückzutreiben, damit dieser wieder zur Herrschaft gelange. Das Züchtigungsmittel der Schläge als etwas besonders Schmähliches anzusehen, war ein recht alberner Vorwurf. Die heilige Elisabeth war von ihrem Beichtiger, Konrad von Marburg, aufs Blut gezüchtigt worden, wodurch »ihre Seel’«, wie es in der Legende hieß, »entzuckt« worden war »bis in den dritten Chor«, und sie selbst hatte eine arme alte Frau, die zu schläfrig war, um zu beichten, mit Ruten geschlagen. Wollte man sich im Ernst unterfangen, die Selbstgeißelungen, denen die Angehörigen gewisser Orden und Sekten sowie überhaupt tiefer angelegte Personen sich unterzogen hatten, um das Prinzip des Geistigen stark in sich zu machen, barbarisch, unmenschlich zu nennen? Daß die gesetzliche Abschaffung der Schläge in den Ländern, die sich vornehm dünkten, ein wirklicher Fortschritt sei, war ein Glaube, der durch seine Unerschütterlichkeit nur an Komik gewann.
Nun, so viel, meinte Hans Castorp, war absolut zuzugeben, daß innerhalb des Gegensatzes von Körper und Geist der Körper zweifellos das böse, teuflische Prinzip … verkörperte, haha, also verkörperte, insofern als der Körper natürlich Natur war – natürlich Natur, das war auch nicht schlecht! – und als die Natur in ihrem Gegensatz zum Geiste, zur Vernunft entschieden böse war, – mystisch böse, so konnte man sagen, wenn man auf Grund seiner Bildung und seiner Kenntnisse etwas riskierte. Diesen Gesichtspunkt festgehalten, war es dann aber nur folgerecht, den Körper dementsprechend zu behandeln, nämlich ihm Disziplinierungsmittel angedeihen zu lassen, die man ebenfalls, wenn man noch einmal etwas riskierte, als mystisch {687} böse bezeichnen konnte. Vielleicht, daß Herr Settembrini, wenn er damals, als die Schwäche seines Körpers ihn gehindert hatte, zum Fortschrittskongreß nach Barcelona zu fahren, eine heilige Elisabeth zur Seite gehabt hätte …
Man lachte, und da der Humanist auffahren wollte, erzählte Hans Castorp rasch von Schlägen, die er selbst einst empfangen: auf seinem Gymnasium war in den unteren Klassen diese Strafe teilweise noch getätigt worden, es waren Reetstöcke vorhanden gewesen, und wenn auch die Lehrer an ihn nicht Hand hatten legen mögen, gesellschaftlicher Rücksicht halber, so war er doch von einem stärkeren Mitschüler einmal geprügelt worden, einem großen Flegel, mit dem biegsamen Stock auf die Oberschenkel und die nur mit Strümpfen bekleideten Waden, und das hatte ganz schmählich weh getan, infam, unvergeßlich, geradezu mystisch, unter schändlich innigem Stoßschluchzen waren ihm die Tränen nur so hervorgestürzt vor Wut und ehrlosem Wehsal – Herr Wehsal mochte freundlichst das Wort entschuldigen –, und Hans Castorp hatte denn auch gelesen, daß in Zuchthäusern bei Empfang der Prügelstrafe die stärksten Raubmörder wie kleine Kinder flennten.
Während Herr Settembrini sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte, die in sehr abgeschabtem Leder steckten, fragte Naphta mit staatsmännischer Kälte, wie man renitente Verbrecher denn anders bändigen wolle, als durch Bock und Stock, die übrigens in einem Zuchthause durchaus stilvoll am Platze seien; ein humanes Zuchthaus sei eine ästhetische Halbheit, ein Kompromiß, und Herr Settembrini, obgleich er ein Schönredner sei, verstehe im Grunde nichts von Schönheit. Was nun aber gar die Pädagogik betraf, so wurzelte, wenn man Naphta hörte, der Menschenwürde-Begriff derer, die das körperliche Zuchtmittel daraus verbannen wollten, in dem Liberal-Individualismus der bürgerlichen Humanitätsepoche, einem aufgeklärten Absolutismus des Ich, der im Begriffe war, abzusterben und {688} neu heraufziehenden, weniger weichlichen Gesellschaftsideen Platz zu machen, Ideen der Bindung und Beugung, des Zwanges und des Gehorsams, bei denen es ohne heilige Grausamkeit nicht abgehe, und die auch die Züchtigung des Kadavers wieder mit anderen Augen werde betrachten lassen.
»Daher der Name Kadavergehorsam!« höhnte Settembrini; und da Naphta hinwarf, daß, da Gott unsern Leib zur Strafe der Sünde der gräßlichen Schmach der Verwesung anheimgebe, es am Ende kein Majestätsverbrechen sei, wenn derselbe Leib auch einmal Prügel bekomme, – so fiel man im Nu auf die Leichenverbrennung.
Settembrini feierte sie. Jener
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