Der Zauberberg
der hermetischen Alchimie geworden sei.
Was, was? In Hansens Gedanken- und Vorstellungswerkstatt ging es drunter und drüber. Da war der blaubemantelte Tod als humanistischer Rhetor; und wenn man den pädagogischen Literaturgott und Menschenfreund näher ins Auge faßte, so hockte da statt seiner eine Affenfratze mit dem Zeichen der Nacht und der Zauberei an der Stirn … Er wehrte und winkte {790} ab mit der Hand und legte sie dann über die Augen. Aber in das Dunkel, worein er sich vor der Verwirrung gerettet, klang Settembrinis Stimme, der fortfuhr, die Literatur zu preisen. Nicht nur die betrachtende, auch die aktive Größe, rief er, sei allezeit mit ihr verbunden gewesen; und er nannte Alexander, Cäsar, Napoleon, nannte den preußischen Friedrich und weitere Helden, sogar Lassalle und Moltke. Es focht ihn nicht an, daß Naphta ihn ins Chinesische heimschicken wollte, wo die skurrilste Vergötterung des Abc herrsche, die je erreicht worden sei, und wo man Generalfeldmarschall werde, wenn man alle vierzigtausend Wortzeichen tuschen könne, was recht nach dem Herzen eines Humanisten sein müsse. Eh, Naphta wußte recht wohl, daß es sich nicht ums Tuschen handelte, sondern um die Literatur als Menschheitsimpuls, um ihren Geist, armer Spötter! welcher der Geist selber war, das Wunder der Verbindung von Analyse und Form. Er war es, der das Verständnis für alles Menschliche weckte, die Schwächung und Auflösung dummer Werturteile und Überzeugungen betrieb, die Sittigung, Veredelung und Besserung des Menschengeschlechtes herbeiführte. Indem er die äußerste moralische Verfeinerung und Reizbarkeit schuf, erzog er, fern davon, zu fanatisieren, zugleich zum Zweifel, zur Gerechtigkeit, zur Duldung. Die reinigende, heiligende Wirkung der Literatur, die Zerstörung der Leidenschaften durch die Erkenntnis und das Wort, die Literatur als Weg zum Verstehen, zum Vergeben und zur Liebe, die erlösende Macht der Sprache, der literarische Geist als edelste Erscheinung des Menschengeistes überhaupt, der Literat als vollkommener Mensch, als Heiliger: – aus dieser strahlenden Tonart ging Herrn Settembrinis apologetischer Lobgesang. Ach, aber auch der Widersacher war nicht auf den Mund gefallen; er wußte das englische Halleluja durch schlimme, glänzende Einwände zu stören, indem er sich zur Partei der Erhaltung und des Lebens schlug gegen den Geist der Zersetzung, welcher sich {791} hinter jener seraphischen Gleisnerei verberge. Die Wunderverbindung, von welcher Herr Settembrini tremoliert habe, hieß es nun, laufe auf nichts als Trug und Gaukelspiel hinaus, denn die Form, die der literarische Geist mit dem Prinzip der Untersuchung und Trennung zu vereinigen sich rühme, sei nur eine Schein- und Lügenform, keine echte, gewachsene, natürliche, keine Lebensform. Der sogenannte Verbesserer des Menschen führe wohl Reinigung und Heiligung im Munde, in Wahrheit aber sei es die Entmannung und Entblutung des Lebens, worauf er ausgehe; ja, der Geist, die eifernde Theorie sei lebensschänderisch, und wer die Leidenschaften zerstören wolle, der wolle das Nichts, – das reine Nichts, rein allerdings, da »rein« denn in der Tat das einzige Attribut sei, das allenfalls dem Nichts noch könne beigelegt werden. Darin nun aber eben zeige Herr Settembrini, der Literat, sich recht als das, was er sei, nämlich als Mann des Fortschritts, des Liberalismus und der bürgerlichen Revolution. Denn der Fortschritt sei reiner Nihilismus und der liberale Bürger ganz eigentlich der Mann des Nichts und des Teufels, ja, er leugne Gott, das konservativ und positiv Absolute, indem er zum Teuflisch-Gegen-Absoluten schwöre und sich mit seinem Todespazifismus noch wunder wie fromm dünke. Er sei aber nichts weniger als fromm, sondern ein Hochverbrecher am Leben, vor dessen Inquisition und strenge Fehme er peinlich gezogen zu werden verdiene – et cetera.
So wußte Naphta zu pointieren, den Lobgesang ins Diabolische zu verkehren und sich selbst als die Inkarnation bewahrender Liebesstrenge hinzustellen, so daß zu unterscheiden, wo Gott und wo der Teufel, wo Tod und wo Leben war, wieder einmal zur reinen Unmöglichkeit wurde. Man wird es uns aufs Wort glauben, daß sein Gegenspieler Manns genug war, ihm die Antwort nicht schuldig zu bleiben, die hervorragend war, und auf die er wieder eine ebenso gute bekam, wonach es noch {792} eine Weile so fortging und das Gespräch in früher schon angedeutete Erörterungen einmündete. Aber Hans Castorp
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